Unterdrückung von Gegenmeinungen - Parallelen von "Heiliger Allianz" ab 1815 und Wertewesten seit 2015
Die Geschichte reimt sich
Fortsetzung von Teil I und Vom Utopismus zur Fabian Gesellschaft (I)
Das Pendel der Freiheit
Dieser Artikel entstand als eine Art Nebenprodukt zur Vorgeschichte des Fabianismus, was in einen Versuch ausartete, die Geschichte des Sozialismus überhaupt zu erklären, ohne gleich ein dickes Buch darüber zu schreiben. Natürlich vergeblich.
Zu dieser Geschichte gehört auch eine Zeit, als sich die Vertreter der europäischen Mächte nach den Napoleonischen Kriegen in Wien zusammenfanden, um eine Neue Weltordnung zu zementieren, die sie “Heilige Allianz” nannten.
Die alte Ordnung war aufgrund der Ereignisse während der Französischen Revolution in Frage gestellt, während die “französischen Ideen” - vor Napoleon ebenso wie danach - eine immense Strahlkraft ausübten, was nicht nur in Europa für Unruhe sorgte, sondern auch das so einträgliche Kolonialsystem zu unterminieren drohte. Der Sklavenaufstand in Haiti, deren Anführer sich auf die französisch-amerikanischen Ideale der Menschenrechte beriefen, war der beste Beweis dafür. Die während des Wiener Kongresses beschlossene “Heilige Allianz” war sozusagen eine Art Gegenrevolution von oben, eine reaktionäre Antwort auf die sich verselbstständigenden Ideen der Aufklärung. Bei den neuerlichen Recherchen fielen mir nun mehr und mehr Parallelen auf zwischen der Zeit vor 200 Jahren und heute.
Aufgewachsen und zur Schule gegangen bin ich in den 60er und 70er Jahren, als jener Typ autoritärer Lehrer gerade am Aussterben war, der die Klassenzimmer mit Rohrstock und Lineal tyrannisierte. Den anti-autoritären Lehrstil der neuen Lehrer-Generation begrüßend, konnte ich mir lange nicht vorstellen, dass die neue Freiheit der linken Revolution nur vorübergehend war und die alten autoritären Systeme mittelfristig nur von neuen abgelöst werden würden.
Würde man den Grad der Freiheit mit dem Pendel einer Uhr vergleichen, so wuchs ich in einer Zeit auf, als sich das Pendel gerade ungefähr in der Mitte befand, dem gleichsam größten Grad von Freiheit entsprechend. Erst in den letzten Jahren begann ich zu realisieren, dass das Pendel derzeit wieder in ein Extrem ausschlägt, hin zu Diktatur, Korpokratismus, Einschränkung von Meinungsfreiheit und persönlichen Rechten, zu autoritärem Regierungsstil. Vor 200 Jahren stand das Pendel ebenfalls eindeutig ganz weit rechts.
Die allgemeine Verbreitung sozialistischer Ideen begann in Verbindung mit den Schrecken der industriellen Revolution, der Stadtflucht, der Entstehung einer Arbeiterklasse und national-reformerischen Ideen ab den 1830er Jahren. In diesem Artikel gehe ich auf die Zeit davor ein. Es war eine Zeit, als die Gesellschaft, ebenso wie heute, gespalten war und die Obrigkeit durch Zensur und Massenpsychosen versuchte, das Heft in der Hand zu behalten, was ebenfalls stark an gegenwärtige Zustände erinnert.
Wir können aus der Geschichte lernen, und wir sollten das auch tun. Denn die Zeiten mögen sich geändert haben, nicht jedoch die Menschen und auch nicht die Motive einer Clique, deren Bestreben die Ausübung von Macht und Kontrolle ist. Einzig die Methoden wurden dem technischen Fortschritt angepasst und verfeinert.
Der endlich verstorbene Heinrich Kissinger war übrigens ein Fan von Fürst Metternich, um den es in diesem Beitrag mitunter gehen wird. Kissinger war ein Lakai unserer heutigen Oberen, die sich hinter NGOs und Investmentfirmen verbergen, uns etwas von einer schönen neuen Welt erzählen und die dennoch die selben Methoden in neuem Gewand anwenden wie einst ein Herr Metternich.
Der geistige Umbruch im 19. Jahrhundert
Es war als hätte das Industriezeitalter alle Schleusen geöffnet und heraus kamen nicht nur neue Technologien und wissenschaftliche Theorien, wobei Letztere sich erst noch beweisen mussten, sondern auch die verschiedensten neuartigen Philosophien, Lehren und Weltanschauungen, die mal nur das Glück des Einzelnen im Auge hatten, mal eine neue Weltsicht und ein ander Mal gleich eine neue Weltordnung zum Ziel.
Sozialistische und kommunistische Ideen, auch als “Utopien” bezeichnet, lassen sich quer durch die Jahrhunderte verfolgen, es gab sie also schon lange vor Karl Marx. Beinahe immer entstanden sie als Ausdruck bedrückender wirtschaftlicher und sozialer Umstände, oder in Verbindung mit der Auflösung überkommener religiöser Vorstellungen und des Zerfalls des herkömmlichen gesellschaftlichen Gefüges. Nach der französischen Revolution, im 19. Jahrhundert, kam im Zuge des Industriezeitalters und der technischen Revolutionen jedoch eine neue Qualität hinzu, so mein Eindruck. Gesucht wurde nach einer Vereinigung von Geisteswissenschaften, Naturwissenschaft und Ökonomie - eine Religion des Fortschritts. Die Herrschaftsform einiger Monarchen in dieser Frühphase des 19. Jahrhunderts wird auch als fortschrittlicher Absolutismus bezeichnet.
Zur selben Zeit und parallel dazu gewinnt auf dem Kontinent auch eine Bewegung an Stärke, die als liberal-demokratischer Nationalismus bezeichnet werden könnte, ebenfalls eine Herausforderung für die alten Mächte, mit Ausnahme von England und Frankreich, die eigene Probleme haben.
Die Legitimität von Monarchien und Kirche war durch die Ereignisse in Frankreich endgültig in Frage gestellt worden, während gleichzeitig die Vereinigung von Industrieller Revolution und Handelskapitalismus eine neue Klasse von Unterdrückten gebar. Nicht länger konnten die vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungen ignoriert, noch aber auf den Glauben an eine natürliche, höhere Ordnung verzichtet werden. Das Bedürfnis etwas glauben zu wollen, scheint eine Funktion zu sein, die beinahe ebenso fest im Menschen verankert ist, wie Reaktionen auf Instinktebene oder soziale Reflexe.
Dass die Industrierevolution in England begann, bald darauf nach Frankreich überschwappte und erst allmählich in Deutschland und Mitteleuropa Fuß fasste, ist übrigens nicht unwesentlich, wenn es darum geht, die verschiedenen Ausformungen des Sozialismus in unterschiedlichen Ländern zu erklären. Während in England bereits von einer Arbeiterklasse gesprochen werden kann, ist in Deutschland ein Großteil der nicht im agrarischen Bereich tätigen Menschen noch in Manufakturen, als Handwerker oder im Dienstleistungsgewerbe beschäftigt. Frankreich wiederum war aufgrund seines revolutionären Erbes ein natürlicher Keimboden von allerlei revolutionären Ansichten und Gruppierungen, obgleich auch hier strenge Zensur ausgeübt wurde, wenn es um die Delegitimierung der Regierung ging; ein Begriff übrigens, den Frau Faeser neulich hervorkramte.
Es folgt ein Blick auf eine Zeit vor und nach dem Wiener Kongress, anlässlich dessen eine Neue Ordnung für Europa beschlossen wurde - die sogenannten “Heilige Allianz”. Als “heilig” wurde diese Allianz wahrscheinlich auch deshalb bezeichnet, um damit zu signalisieren, dass es ja niemand wagen solle, gegen diese geheiligte Ordnung aufzubegehren.
In der Moderne des 21. Jahrhunderts sind es die diffusen, quasi geheiligten Werte und Methoden des Westens, gegen die niemand aufzubegehren hat, ebenso steht das Manifest der “Vierten Industriellen Revolution” offenbar über jeglicher Kritik und die Artikel von Agenda 2030 mitsamt Klimareligion und DEI/ESG-Schlagworten sind schon beinahe unantastbar geworden.
Diese neuerliche Revolution “von Oben” im 21. Jahrhundert hat sehr viel Ähnlichkeit mit der “Heiligen Allianz”, auch wenn heuer die wohlfeilsten Stereotypen verwendet werden, welche einer aufgeklärten Gegenrevolution (von unten) von vorne herein den Wind aus den Segeln nehmen sollen. Unsere Oberen und deren Lakaien, Leute wie Kissinger (nicht unbedingt wie Baerbock), haben gewisse Lehren aus der Geschichte gezogen.
Die Geburt der Heiligen Allianz stand allerdings unter keinem guten Stern. Wegen des Ausbruchs des Tambura-Vulkans 1815 in Indonesien kam es weltweit zu Missernten und seltsamen Wetterphänomenen und in Folge von Hungersnöten und exorbitanten Brotpreisen zu Aufruhr und Streiks. Eine wirkliche Hungersnot, auch nicht eine selbst erzeugte, wird es meiner Meinung nach im Westen in naher Zukunft auch deshalb nicht geben, weil die Geschichte unzählige Male gezeigt hat, dass die politisch Verantwortlichen im Fall einer echten Hungersnot ganz schnell um ihr wertvolles Leben fürchten müssen. Was leider nicht ausschließt, dass die benötigte Nahrung in naher Zukunft aus den Fleischtöpfen von Laboren stammen wird.
Die Revolution … frisst ihre Kinder, Ablehnung französischer Ideen
Der Wiener Kongress 1814/15 und die damals beschlossene “Heilige Allianz” der europäischen Großmächte war eine Reaktion auf die Französische Revolution und eine konzertierte Gegenbewegung der gekrönten Häupter Europas, die auch Frankreich mit einschloss.
Napoleon hatte bei seinen Eroberungszügen in Europa überall auch die französischen Ideen eingeführt sowie Reformen durchgesetzt, und diese wollten vom Volk bzw. dem Bürgertum nicht so leicht wieder aufgegeben werden. Auch konnte der Adel gewisse Reformen nicht einfach wieder zurücknehmen. Allerdings, wie gesagt, war das Volk gespalten, von radikalen französischen Ideen, der Revolution und vom Krieg hatte man jedenfalls vorerst genug, was bereits im Zuge der Befreiung von französischen Revolutionstruppen mancherorts zu unschönen Szenen führte.
Als preußische Truppen Ende März 1793 den Rhein überquerten und die linksrheinischen Gebiete zurückeroberten, die ein halbes Jahr zuvor von den Armeen des revolutionären Frankreich besetzt worden waren, da kam es an vielen Orten zu Ausschreitungen der örtlichen Bevölkerungen, denen die preußischen Soldaten nicht immer Einhalt geboten – im Gegenteil, oft ließen sie sich von der Volkswut anstecken oder stachelten diese sogar an. Die Wut richtete sich gegen Personen, die mit den verjagten Besatzern zusammengearbeitet und an der von Frankreich betriebenen Revolutionierung der Städte und Dörfer Rheinhessens und der Pfalz mitgewirkt hatten oder auch nur im Verdacht standen, dies getan zu haben.
Nicht etwa die Kollaboration mit den Franzosen, sondern die ‹französische Anhäng-lichkeit› oder besser: die demokratische Gesinnung erschien als das eigentliche Vergehen. So wurde in Bingen genau unterschieden zwischen den normalen Bedürf-nissen einer fremden Armee und ihrer Soldaten, wie sie im Krieg immer erfüllt werden müssen, und den «heillosen französischen Grundsätzen»; Personen, die in diesem Sinne hervorgetreten waren, wurden namhaft gemacht. In Speyer mussten die Clubbisten wie an vielen anderen Orten den unter französischer Ägide errichteten Freiheitsbaum niederreißen, ihre Schriften und Verordnungen öffentlich verbrennen und zwei Wochen Schanzarbeit leisten.
Bei Oppenheim am Rhein war es den Preußen am 30. März gelungen, einige Mainzer Clubbisten, die sich vor der Belagerung der Stadt ins Elsaß hatten flüchten wollen, zu verhaften, darunter die Mainzer Konventsabgeordneten Blau (übrigens der Großonkel meines Urgroßvaters - das war ein Scherz!), Scheuer und einen Kaplan namens Arensberger. Als die etwa fünfzig Gefangenen auf die Festung Königstein geführt wurden, kam der Zug durch Frankfurt, wo sich am Roßmarkt hässliche Szenen abspielten, wie Girtanner referiert:
«Auf dem Balkon standen Damen und Herren. Das Häuflein Klubisten war kaum von der unabsehlichen Menge Volks zu unterscheiden, welches mit tobendem Ungestüme dasselbe von allen Seiten umgab. Rache, Schadenfreude und Neugierde, waren beinahe auf allen Gesichtern gleich stark ausgedrückt.»
Die an der Spitze stehenden und zusammengefesselten Honoratioren, der Professor Blau, der Kaplan Arensberger und ein Mediziner mussten sich nicht nur beschimpfen und anpöbeln, sondern auch mit faulen Eiern und Äpfeln bewerfen, ja in die Rippen stoßen und anspucken lassen.
Die Erbitterung des Publikums gegen die «Clubbisten» sei grenzenlos, schrieb der Anatom Samuel Thomas Soemmerring, der in Frankfurt Augenzeuge dieser Vorgänge war, an den Philologen Christian Gottlob Heyne: «Gerechter Himmel! was mußte ich in diesen Tagen für grausame Wünsche anhören, von Leuten, von denen ich’s nie erwartet hätte, daß sie ihren Mund mit solchen Worten besudeln könnten.»
Eine regelrechte Jagd auf die Clubbisten fand in diesen Frühjahrswochen statt, und auch wenn die preußischen Soldaten hier zuweilen mitmachten oder zu wenig dagegen unternahmen und bei den Verhaftungen oft schikanös verfuhren, so kam die Wut in der Mehrzahl der Fälle doch aus der einfachen Bevölkerung. Darin stimmen alle Berichte überein. Und auch das steht fest, dass sich hier der Hass einer Mehrheit gegen eine verschwindend kleine Minderheit von meist überdurchschnittlich gebildeten, zuweilen wohlhabenden politischen Aktivisten richtete. «Die einzige Massenbewegung im Rheinland während der Revolutionszeit war die konter-revolutionäre Bewegung», stellt T. C. W. Blanning, einer der besten Kenner der Franzosenzeit an Rhein und Main, mit Blick auf die Jahre bis 1800 fest.1
Andererseits wurden die rechtsrheinischen Gebiete nach der Rückeroberung vorsichtshalber geteilt, da einige Menschen die französischen Rechte offenbar doch wertzuschätzen gelernt hatten, und nicht so ohne weiteres bereit waren, die alten Zustände wieder einreißen zu lassen. Insgesamt ist es kein Wunder, dass die Gelehrten links und rechts des Rheins, die, so scheint es, in großer Anzahl in Zirkeln mit freimaurerischen und aufklärerischen Zielen vernetzt waren, auf Tauchstation gingen und Wissenschaft fortan sorgfältig von Politik zu scheiden wussten. Zu diesen gehörte auch der Dichter Johann Wolfgang Goethe, der einige Jahre den Illuminaten angehörte.
Allerdings muss ergänzend erwähnt werden, dass anno 1793 der Massenterror im letzten Jahr der jakobinischen Diktatur dem Höhepunkt entgegenstrebte. Todeskarren zogen täglich in Prozessionen zum Hinrichtungsplatz, 2500 Menschen wurden allein in Paris ermordet, 14.000 in ganz Frankreich. Arme Leute wurden aufgrund fragwürdiger Denunziationen vor die Revolutionstribunale gebracht und im Schnellverfahren abgeurteilt. In den überfüllten Pariser Gefängnissen herrschten grauenhafte Verhältnisse, Selbsttötungen waren an der Tagesordnung. […] In dieser Schule des organisierten Terrors ist die gesamte, oft blutjunge und glänzende Garde der späteren napoleonischen Generäle groß geworden, einschließlich Bonapartes selbst.2 Und auch die erwähnten Clubbisten in den linksrheinischen Gebieten wandten mitunter unfeine, geradezu diktatorische Methoden und Gesinnungsterror an, um die Leute für die französischen Ideen zu gewinnen und zum Eintritt in den Club (was in etwa einer Partei entspricht) zu bewegen.
Der Rechtsruck
In den Napoleonischen Kriegen würden Millionen von Menschen sterben. Zitat Napoleon:
„Keine Revolution ohne Terror. Eine Revolution ist ihrer Natur nach ein Aufstand, dem der Erfolg und die Zeit Legitimation verleihen und der notwendigerweise eine terroristische Phase durchläuft“.
Die Zeiten waren in den Jahren nach den diversen Revolutionen in Amerika, Frank-reich, Holland, Belgien usw. und nach den Napoleonischen Kriegen turbulent, die Lage mehr als prekär - und mit der französischen Krankheit war nun nicht mehr die Syphilis gemeint, sondern die Revolution, die Clubbisten, die Auflösung der Kirche, wenigstens in Frankreich, und Anarchie; obgleich gewisse Ideale der französischen Revolution zunächst sowohl unter Gelehrten als auch unter einigen der aufgeklärteren Fürsten Mittel- und Norddeutschlands Sympathisanten fanden. Dies galt mit Sicherheit für die amerikanische Revolution und deren Ziele, welche wohl von nicht Wenigen aus den Kreisen der liberalen Freimaurerei begrüßt wurden. Als Reaktion auf die Geschehnisse in Frankreich wurden nun zwar die meisten Zweige der Freimaurerei verboten (in Österreich), in Italien unter Napoleon gänzlich aufgelöst, verloren an Bedeutung, wurden unter staatliche Aufsicht gestellt (Frankreich), andere begannen jedoch in verdeckter Form die Vorformen von politischen Parteien zu bilden.
Der Schrecken der französischen Revolution hatten zu einer Art Rechtsruck unter den Gebildeten geführt, sowie zu einem Zusammenrücken der gekrönten Häupter Europas. Andererseits waren, wie erwähnt, gewisse französische Ideen und Reformen nicht einfach annullierbar.
Als erstes deutsches Land erhielt Sachsen-Weimar-Eisenach 1816 ein "Grundgesetz über die landständische Verfassung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach". Wichtige Grundrechte, die durch die Verfassung gewährt wurden, waren die Pressefreiheit und das Recht der freien Meinungsäußerung. Der Herzog gehörte zu den sogenannten fortschrittlichen Absolutisten, und hatte zuvor - vor der Revolution - zusammen mit Goethe und anderen weimarischen Notablen Sympathien für aufgeklärte freimaurerische Ideale gepflegt.
Der Wiener Kongress 1814/15
Die Schlacht von Waterloo war mit der Hilfe Preußens geschlagen, ein gewisser Herr Rothschild war aufgrund seines Brieftaubensystems und schneller Kuriere sehr reich, bzw. noch reicher geworden und Napoleon endlich nach St. Helena verbannt, eine Insel beinahe am anderen Ende der Welt.
Die Geschichte nach der Nathan Mayer Rothschild als erster in England vom Ausgang der Schlacht von Waterloo informiert wurde und dernach das Gerücht in die Welt setzte, Wellington habe gegen Napoleon verloren, woraufhin die Börsenkurse abstürzten, und Nathan Rothschild über Käufe durch Strohmänner ein Vermögen verdiente, ist wahrscheinlich ein antijüdisches Gerücht. Kaum bestritten wird hingegen der Einfluss, den die Rothschild-Brüder auf die europäischen Herrscherhäuser hatten, und dadurch auch auf die Politik nehmen konnten. Ihr Aufstieg in die obersten Ränge der Macht begann just zu der Zeit, als der Wiener Kongress tagte. Nur wenige Jahre darauf war das Haus Rothschild die mächtigste Londoner Bank und löste damit die Baring Brüder ab. Das nur nebenbei.
Der Schrecken saß tief bei den Herrschern Europas. Der Emporkömmling Napoleon war wie ein Wirbelwind quer durch den Kontinent gerauscht, und hatte die alte Ordnung gründlich aufgemischt. Während im französischen Volk, selbst noch nach dem Tode Napoleons ein paar Jahre später, insbesondere in schlechten Zeiten, immer wieder die Gerüchteküche hochkochte: ER ist zurückgekommen!
Wie konnte eine Wiederholung der schmählichen Episode und weitere Emporkömmlinge wie Napoleon verhindert werden? Von Frankreich ausgehend hatte sich der Keim der Unzufriedenheit mit dem bestehenden System quer durch alle Länder und Völker verbreitet. Nun mussten Gegenmaßnahmen getroffen werden.
Schon 1814, als Napoleons Niederlage absehbar war, hatten Metternich und Lord Castlereagh einen Rahmen entworfen, um Kriege zu verhindern und Revolutionen niederzuschlagen. Im Vertrag von Chaumont vom 9. März verpflichteten sich Großbritannien, Österreich, Russland und Preußen zu einer langfristigen Allianz mit dem Ziel, Frankreich in Schach zu halten (eine gewisse Ähnlichkeit mit der Gründung des NATO-Bündnisses gegen Deutschland nach dem 2. Weltkrieg scheint hier auf). Diese Allianz hatte sich nach Napoleons Rückkehr aus Elba bewährt und die militärischen Kräfte mobilisiert, die ihn bei Waterloo in die Knie zwangen. Bei seiner Ankunft in Paris im Gefolge von Wellingtons Armee schlug der britische Lord Castlereagh vor, die Allianz in eine dauerhafte Koalition umzuwandeln. In der Folge des Zweiten Pariser Friedens am 20. November 1815 erneuerten die Bevollmächtigten der vier Staaten am selben Tage in einem gesonderten Vertrag die Quadrupelallianz von 1814.
Sie richtete sich zwar in erster Linie gegen Frankreich, verpflichtete die Signatarstaaten jedoch, gemeinsam alle Abmachungen zu verteidigen, die sie auf dem Wiener Kongress getroffen hatten. Des Weiteren beschlossen sie regelmäßige Zusammenkünfte, um die Lage zu überprüfen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Erhaltung des Friedens zu ergreifen. Es war ein pan-europäisches Sicherheitssystem, das die vorhandenen territorialen und konstitutionellen Arrangements schützen sollte.3 Es dauerte nur ein paar Jahre, dann wurde Frankreich mit einbezogen in die Allianz, und aus dem Quartett wurde ein Quintett.
Jahreszahlen an sich bedeuten zwar nichts, aber irgendwie seltsam ist es dann doch, dass beinahe 100 Jahre später wieder ein großer europäischer Krieg stattfand, dem abermals eine große Viermächte-Konferenz folgte, mit beinahe genau denselben Kriegsparteien, auf der über eine Neue Ordnung entschieden wurde. Dieses Mal in Paris und Versailles nach dem 1. Weltkrieg. Der 2. Weltkrieg? Eine Korrektur des Ersten, mitsamt Konferenz in Paris. Das nächste Ereignis, das in diese Kategorie passt, war das Ende des Kalten Krieges, Ausrufung einer Neuen Weltordnung durch George H.W. Bush, 70 Jahre nach der 1. Pariser Konferenz. 30 Jahre später - Corona, Beginn des Zeitalters des Transhumanismus und der Herrschaft der Technokratie.
Ein Blick auf die Alte Ordnung
Der österreichische Kanzler Clemens Wenzel Lothar von Metternich-Winneburg-Beilstein dominierte den Wiener Kongress und er wollte die alte Ordnung wiederherstellen. Jede Veränderung sah er mit Argwohn, weil sie notgedrungen eine Störung dieser Ordnung mit sich brachte.
Fürst Clemens von Metternich (1773 - 1859)
Er betrachtete die Handwerker- und Mittelschicht als Gegner, da sie naturgemäß ihre eigenen Interessen vorantrieben, was nur gelingen konnte, wenn gegebene Hierarchien außer Kraft gesetzt und die politischen Strukturen verändert wurden - und beides bedrohte das System, für das er stand. Es waren Anwälte gewesen, so wurde er nicht müde zu betonen, die die französische Revolution angeführt hatten, schreibt Zamoyski.4
Und damit hatte Metternich wohl Recht. Das französische “Ancient” System hatte eine überproportionale Schicht an Juristen hervorgebracht (die Rede ist von 5 - 15 % der Bevölkerung), welche zusammen mit dem niederen Landadel und Literaten die Revolution entzündet hatten. Waren nicht auch einige der gravierendsten diktatorischen Entscheidungen in der Corona-Zeit gegen nicht staatskonforme Richter (Beispiel Weimar) gerichtet?
Allerdings war es mit dieser nun so hochgelobten alten Ordnung nie weit her gewesen. Denn war es nicht Joseph II. gewesen, der als einer der ersten begonnen hatte, religiöse Institutionen abzuschaffen, die Privilegien des Klerus zu beschneiden, Mönchs- und Nonnenklöster zu schließen, den Antiklerikalismus und Religionslosigkeit gesellschaftsfähig zu machen, und sich dabei schamlos bereichert hatte? Und war es nicht der französische König, der die amerikanischen Rebellen unterstützte und gegen seinen britischen Monarchenkollegen aufgehetzt hatte? Und wie war das, als die Herrscher von Russland, Preußen und Österreich sich zusammentaten, um den gesalbten König von Polen zu entthronen und auszuplündern?
Die Metternich-Staatspolizei
1815 gab es in Österreich-Ungarn kaum eine nennenswerte soziale Unzufriedenheit und nichts, dem nicht mit einigen kleineren Reformen und Zugeständnissen Abhilfe hätte geschaffen werden können. Eine ähnliche Situation ergab sich in den 1990er Jahren, als die Menschen nach dem Mauerfall hoffnungsvoll in die Zukunft blickten. Etwa 75 Prozent der Bevölkerung lebte immer noch von der Landwirtschaft, und da es nur wenig Industrie gab, gab es damals auch kein Industrieproletariat, mit dem man sich hätte herumschlagen müssen.5
Der von Kissinger so hoch geschätzte Metternich jedoch strebte nach Kontrolle, und zwar nicht nur über die österreichischen Provinzen, sondern vielmehr über “den Geist, der in ganz Europa herrscht”. Infolgedessen erweiterte Metternich die Funktion der Staatskanzlei hin zu einer Staatspolizei. Oder umgekehrt: Metternich baute einen Polizeistaat auf.
Die Staatskanzlei schwoll zu einem gigantischen Apparat mit zehn Abteilungen an, die von Beamten in minutiös abgestuften Rängen geführt wurden, sowie mit Nebenzweigen, die mit spezifischen Aufgaben befasst waren: Verschlüsselung und Entschlüsselung, Übersetzung, Drucken von Propaganda, Archiv, Schatzamt, Postdienst und so weiter. Metternich war zwar ein Anhänger strenger Zensur und betrachtete die Pressefreiheit als “Ketzerei”, aber er benutzte Zeitungen, insbesondere den Österreichischen Beobachter, und einen Stab von Autoren, darunter Friedrich Schlegel und Adam Müller, um seine eigenen Ansichten darzulegen und die Öffentliche Meinung zu beeinflussen.6
Es scheint fast zu banal, die Parallelen zur Gegenwart aufzuzeigen, aber haben wir jetzt nicht auch eine staatshörige Presse bzw. Medien und Autoren, die den unsichtbaren Oberen nach dem Mund schreiben, und die Staatspropaganda unters Volk bringen, um die Öffentliche Meinung zu beeinflussen?
Ab die Post
Metternich und sein 1816 ins Amt gekommener Polizeichef glaubten, dass die Kontrolle der Post der Schlüssel für die Überwachung Europas sei. Modern ist daraus die Kontrolle des Internets geworden. Dabei kam ihnen der Umstand zu Hilfe, dass Wien den effizientesten Postdienst Europas hatte, und dass auch nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches große Teile der Korrespondenz innerhalb Zentraleuropas noch die österreichischen Sortierstellen durchliefen. Metternich gelang es seinen Einfluss auf die Schweiz auszudehnen, wo sich naturgemäß mehrere Durchgangsrouten kreuzten, Treffpunkt von Umstürzlern aller Art. Dazu kam: Lombardo-Venetien wurde direkt von Wien aus regiert; die Toskana, Parma und Modena standen unter österreichischem Protektorat, und der Papst war auf die Unterstützung Österreichs angewiesen. Ähnliches galt für Neapel und Sizilien.
Kein Brief war sicher vor Metternichs Poststelle und weder der Kaiser noch Metternich selbst waren von dieser Praxis ausgenommen. Die postalische Überwachung erbrachte eine so reiche Ernte an interessantem Material, dass Kaiser Franz geradezu danach süchtig wurde.
Um sicherzustellen, dass weiterhin so viel europäische Post wie möglich das österreichische Herrschaftsgebiet passierte, sorgte Metternich dafür, dass der habsburgische Postdienst billiger und schneller war als die Alternativen. 1822 klagte der Polizeiminister Sedlnitzky, dies bedeute eine immense Anstrengung für seine Agenten, weil es die Zeit verringerte, die ihnen blieb, um die abgefangenen Briefe wieder zurückzubringen. Briefe, die in Wien ankamen, wurden um 7 Uhr morgens vom Postamt zur Geheimschrift-Kanzlei gebracht, wo einer der Subdirektoren diejenigen auswählte, die von Interesse zu sein versprachen. Diese mussten geöffnet, kopiert, wieder versiegelt und bis um 10 Uhr zum Postamt zurückgebracht werden. Eine Stunde später kamen die Briefe von den Provinzpostämtern herein, und die gleiche Prozedur musste so rasch über die Bühne gehen, dass sie um 14 Uhr zurück im Postamt sein konnten. Zwei Stunden danach kamen die ersten Briefe herein, die an diesem Tag in Wien aufgegeben worden waren und rechtzeitig gesichtet werden mussten, um die abgehende Post um 19 Uhr zu erreichen. […] Wer gewieft war, hatte bald heraus, dass er seine Briefe in der letzten Minute aufgeben musste, damit so wenig Zeit wie möglich blieb, bis sie die Stadt verließen, was die Zensoren noch mehr unter Druck setzte.7
Kollektiv-Überwachung
Charles Sealsfield,ein Österreichisch-Amerikanischer Schriftsteller, der selbst unangenehme Erfahrungen mit dem österreichischen Geheimdienst machte, schrieb:
«Jeder Lakai in einem Wirtshaus ist ein bezahlter Spitzel». «Es gibt Spitzel, die dafür bezahlt werden, dass sie Tavernen und Hotels aufsuchen, und an der table d’hôte essen. Andere sieht man in der kaiserlichen Bibliothek mit demselben Auftrag, oder in der Buchhandlung, um sich nach den Einkäufen verschiedener Personen zu erkundigen. Selbstverständlich werden Briefe, die mit der Post versendet werden, geöffnet, wenn sie nur den geringsten Verdacht erregen, und man gibt sich so wenig Mühe, diese Verletzung des öffentlichen Vertrauens zu verheimlichen, dass nicht selten das Siegel des Postamts dem des Absenders hinzugefügt wird.»
Diese Kollektivüberwachung stellte sich aber sozusagen selber ein Bein. Bereits 1804 hatte die Wiener Polizei festgestellt, dass die Allgegenwart von Schnüfflern nur dazu führte, dass die Menschen an öffentlichen Orten verstummten. Freunde trafen sich im Kaffeehaus und saßen ein paar Stunden schweigend zusammen und brachen ihr Schweigen nur, um sich zu verabschieden. Der Polizeiinspektor Anton Krametz-Lilienthal klagte, die Studenten in Graz seien durch offenkundige Beweise von Spionage derartig eingeschüchtert, dass sie kaum noch ein Wort miteinander wechselten.8
Gesinnungsschnüffelei
Unbeabsichtigt weckte Metternich durch einige seiner Maßnahmen, die er nach 1815 veranlasste, den Widerstandsgeist in Teilen der italienischen Bevölkerung, was zu einer allmählich erstarkenden Bewegung hin zur Vereinigung ganz Italiens zu einem Nationalstaat führen würde. Bekanntlich begann die 1848er Revolution sich von Sizilien aus auszubreiten.
Von Wien aus wurden Direktiven an die italienischen Provinzen ausgegeben, und verwandelten sich dort, von lokalen Polizeibeamten interpretiert, in ein bizarres Vorschriftenwerk. Dies führte zu einer solchen Einmischung der Polizei in das Leben der Menschen, dass ein österreichischer Kommentator schrieb: “Man kann sagen, dass es in Italien keine soziale Beziehung gibt, in die sie [die Polizei] sich nicht direkt einmischte.”
Man könnte über diese Aussage und Beispiele, die noch zur Genüge folgen werden, lachen, wenn ich mich nicht noch zu gut daran erinnern könnte, dass die Polizei auch in Deutschland 2020 oder 2021 Privatwohnungen und Skatrunden stürmte, um zu überprüfen, ob die Anwesenden verwandt waren oder nicht, oder ob nicht etwa mehr als drei Personen beim Skatspiel anwesend waren.
Listen wurden erstellt von Leuten, die etwa Mitglied von Freimaurergesellschaften waren, wobei sich herausstellte, dass diese Listen die Namen eines Großteils der Aristokratie und so gut wie aller Regierungsbeamter und Armeeoffiziere enthielten. Regierungsbeamte, Lehrer und selbst Promotionskandidaten mussten einen Eid schwören, dass sie keiner Freimaurergesellschaft angehörten.
Vielleicht muss man heute (noch) nicht schwören, dass man niemals in der AFD war, wenn man in den Staatsdienst eintreten will, so ähnlich wie beim Radikalen-Erlass in den frühen 70er Jahren, aber als bekennender AFD-ler hätte man trotzdem keine Chance Beamter zu werden. Jegliche Gesinnungsschnüffelei funktioniert heutzutage übrigens mittels gigantischen, vernetzten Datenbanken und Künstlicher Intelligenz viel effizienter.
Nehmen Sie z.B. eine Software wie Cybercheck, die Strafverfolgungsbehörden dabei helfen soll, Straftäter ausfindig zu machen. Cybercheck soll helfen, Beweise zu sammeln, indem es Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen zur Verfügung stellt – was das Unternehmen “Open Source Intelligence” nennt.
Dabei handelt es sich um E-Mail-Adressen, Social-Media-Accounts und andere Bestandteile der Spur persönlicher Informationen, die Menschen im Internet hinterlassen. Ziel ist es, Verdächtige ausfindig zu machen und den Strafverfolgungsbehörden andere Daten zur Verfügung zu stellen. [uncutnews.ch] Bestimmt ist es, jetzt auf Deutschland bezogen, auch kein Problem, alle Leute rauszusuchen, die irgend etwas mit der AFD zu tun haben, oder die jemals einen positiven Kommentar bei jemandem abgaben, der etwas Positives über die AFD zu sagen hatte. Etc.
“Phantasmagorien”
Metternich gründete in Mailand die “Beobachtungsanstalt”, um Informationen über freimaurerische und andere Geheimgesellschaften zu sammeln, und er versuchte andere Herrscher dazu zu animieren, das Gleiche zu tun. Diese kooperierten wohl anfangs nicht, und so gründete er Nachrichtenbeschaffungsagenturen in Florenz und Rom, deren Nutzen jedoch zweifelhaft war, weil die Informanten teilweise Dinge berichteten, die sie erfanden oder ausschmückten, weil sie der Meinung waren, die neuen Behörden wollten dies hören, oder um von der eigenen Spur abzulenken. So wird es auch der Denunziantenbehörde in Deutschland ergehen. In Schottland, wenn ich mich nicht irre, war das Ergebnis eines neuen Gesetzes, nach dem irgendwelche Diskriminierungen gemeldet werden sollten, dass die Behörde mit Anzeigen überschwemmt wurde. Manche der Anzeigen richteten sich gar gegen Politiker!
“Die Art europäischer Polizei, die wir in einem Maßstab aufgebaut haben wie es sie zuvor noch nie gab, hat uns nicht enttäuscht”, schrieb Metternich prahlerisch an seinen Botschafter in St. Petersburg. “Ich bin zuversichtlich, dass kein Projekt gegen die bestehende Ordnungen vorbereitet werden kann, ohne dass wir über die ersten Schritte auf Seiten der Umstürzler informiert wären.” Andere waren von Metternichs Aktivitäten weniger überzeugt. Der britische Diplomat Sir Robert Gordon schrieb:
«Nichts übertrifft Metternichs Fleiß beim Sammeln von Fakten und Informationen über die inneren Befindlichkeiten des Volks: durch die Gewohnheit, solche Nachforschungen anzustellen, ist er danach süchtig geworden und findet keine Ruhe mehr, bis er weiß, dass ihm nichts entgeht, was verborgen bleiben sollte. Doch ist zu befürchten, dass die Geheimnistuerei, nach der diese Sucht notwendigerweise verlangt, ihn dazu verführt, seinen Entdeckungen zu große Bedeutung beizumessen. Phantome werden heraufbeschworen und im Dunkeln aufgebauscht, die bei Licht besehen ins Bedeutungslose versinken würden; und seine Informanten übertreiben ihre Berichte natürlich, da sie wissen, dass sie mit der Ausmalung ihrer Phantasmagorien ihren Gewinn erhöhen.»
Nun, kennen wir das Phänomen nicht auch in der Neuzeit? Man denke nur an die NSU, in der wohl so viele Informanten vom Verfassungsschutz integriert waren, dass zweifelhaft ist, was ohne diese Informanten von der NSU übrig geblieben wäre. Oder an den Coup der Verhaftung der Rollstuhl-Gang, auch “Reichsbürger” genannt, die offenbar eine so große Gefahr für die Demokratie darstellten, dass einige der Rentner nun bald jahrelang in Haft auf eine ordentliche Verhandlung warten, sodass einer der Angeklagten kürzlich gar in der Haft verstarb. Ohne dass dies zu einer ähnlichen Entrüstung und Pressemeldungen geführt hätte wie im Fall des in russischer Haft verstorbenen Nawalny. In die Welt gesetzte Phantasmagorien, um den Gewinn zu erhöhen, das trifft wohl auch auf die von Correctiv fabrizierte “Wannsee-Konferenz 2.0” zu, wenn ich mich nicht irre.
Doppelstandards zu setzen ist eines der Merkmale von Diktaturen, und Metternichs Polizeistaat unterschied sich nur unwesentlich von einer solchen. Metternich suchte nach Verschwörungen aller Orten, doch die größte Verschwörung, die damals stattfand, war die Verschwörung Metternichs gegen das gebildete Bürgertum. Auch an letzterem, der Verschwörung der Regierungen gegen das Volk, scheint sich in der Gegenwart nichts geändert zu haben.
Kirchliche Mores in Italien
Im Kirchenstaat, der mittlerweile wieder über größere Gebiete Italiens herrschte, war es nicht anders. Es galt verdächtige Personen und Ausländer im Auge zu behalten, und anstößige Bücher zu konfiszieren. Im Kirchenstaat galt Opposition gegen die Regierung nicht nur als kriminell, sondern auch als ketzerisch. Frau Faeser ist also auf dem besten Weg, Deutschland in eine moderne Version des Kirchenstaates von 1817 zu verwandeln? Sie wissen schon, dass Delegitimierung des Staates, worunter beinahe alles fällt, was nicht auf Regierungslinie liegt, strafbar sein soll?
Wen die örtliche Polizei im Kirchenstaat als Abweichler erachtete, der wurde unter eine Art Bann, den precetto morale, gestellt: Ihm wurde verboten, die Stadt ohne polizeiliche Erlaubnis zu verlassen; er hatte zwischen Abend- und Morgendämmerung in seiner Wohnung zu bleiben; und er musste in einem Kloster die Ostergottesdienste besuchen, sich außerdem drei Tage zu religiösen Einkehr dorthin zurückziehen und sich einmal im Monat bei der Polizei melden - mit einer priesterlichen Bescheinigung, dass er gebeichtet und die Absolution erhalten hatte.9 Um Himmels Willen, nicht dass Frau Faeser auf falsche Gedanken kommt, wenn sie das liest …
Auch wenn Metternich nach seiner Italien-Reise in einem Memorandum vom 3. November 1817 an Kaiser Franz letztendlich zugeben musste, dass verdächtige Gruppierungen zwar existierten, dass aber dennoch kein Grund zur Beunruhigung bestand, weil die Überwachung mit Bestimmtheit gezeigt habe, dass “es ihnen an Anführern von Format ermangelt, die fähig wären, Hoffnung zu wecken, und dass sie weder über eine zentrale Leitung noch über andere Mittel verfügen, die erforderlich sind, um revolutionäre Bewegungen wirkungsvoll zu begründen”, so war dies dennoch kein Grund für Metternich, in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Ebenso wenig wie Frau Faeser trotz der mageren Erkenntnisse zu den “Reichsbürgern” nachlassen wird in ihrem Kampf gegen Rechts, und eine Staatsanwältin in Schleswig-Holstein offenbar nichts wichtigeres zu tun hat, als Prof. Bakhdi Worte und Meinungen in den Mund zu legen, die er 100%ig nicht so gesagt und schon gar nicht so gemeint hat.
Reisende waren seit jeher für alle Herrscher beunruhigend. Das gilt auch in der Gegenwart: Martin Sellner ist offenbar so eine schreckliche Gefahr für die Demokratie, dass ihm die Einreise nach Deutschland verwehrt werden musste. Während Jünger eines Kalifats offenbar keine Probleme mit der Einreise haben, was früher eindeutig anders war. Denn: Um sie, die Reisenden, abzuschrecken, und die Verbreitung von aufrührerischen Ideen, sowie eine internationale Vernetzung der Aufwiegler zu verhindern, wurde ein lästiges System aus Visa und rigorosen Grenzkontrollen eingeführt. Der Privatlehrer des Zaren La Jarpe wurde beispielsweise bei seiner Reise nach Neapel nicht weniger als vierzehn Mal durchsucht. Als Mary Shelley von Frankreich nach Sizilien einreisen wollte, wurden ihre Bücher konfisziert. Ziemlich lächerlich wurden die Kontrollen, wenn sich herausstellte, dass die Zollbeamten die Dokumente, die sie zu überprüfen hatten, und die Bücher, die sie konfiszierten, gar nicht lesen konnten, weil viele Analphabeten waren.
Nun in der Moderne ist dieses Problem dank digitaler Identifizierung, E-Wallet und KI-Technik bald behoben.
Als der berüchtigte Lord Byron nach Italien reiste, wurde er auf Schritt und Tritt von einer Horde von Agenten überwacht, doch deren Erkenntnisse waren insgesamt recht mager. Zu den amüsanten Aspekten der Überwachung Byrons gehört, dass er oft, begleitet von weitschweifigen Beschreibungen seiner Aktivitäten, an zwei Orten zur gleichen Zeit beobachtet wurde. Noch mehr Sorgen als Ausländer bereiteten Metternich allerdings die nationalistischen Träumer und Aufwiegler.
Metternich witterte einen Spion oder einen Revolutionär unter jedem Stein und beeinflusste auch Preußen und Russland in diesem Sinn, und wenn möglich auch England.
Der Europäische Polizeistaat
Metternich entwickelte das weiter oben beschriebene ausgeklügelte Post-Spionagesystem und hatte in jedem Ort oder größeren Stadt, in Kaffeehäusern, Wirtshäusern, Lesezirkeln und an den Universitäten Informanten. In Preußen entstand schon unter Napoleon eine Polizeibehörde, die nach 1815 mit Argusaugen nicht nur gegen die Franzosen bzw. französische Ideen gerichtet war, sondern sich auch mit der Verfolgung preußischer Patrioten befasste.
Die Hoffnung auf eine deutsche Einheit, die nach 1813 aufgeblüht war, wurde beim Wiener Kongress zerstört. Deutschland blieb zersplittert in 39 Einzelstaaten. Preußens Staatsgebiet war im Lauf des letzten halben Jahrhunderts stark gewachsen, war aber auf die verschiedensten Regionen verteilt, und deshalb besonders durch den Nationalismus gefährdet. Der neue preußische Polizeichef Graf Sayn-Wittgenstein übernahm die von seinem Vorgänger Gruner geschaffenen Strukturen einer Geheimpolizei, die aber nun nicht mehr gegen die Franzosen gerichtet wurden, sondern bei der Verfolgung preußischer Patrioten halfen.
Die Zahl der Polizeispitzel nahm spürbar zu, so Zamoyski in “Phantome des Terrors”, und die Menschen wurden auf ihren Spaziergängen von Männern verfolgt, die sich Notizen machten. Die Post wurde massenhaft abgefangen.10
“Ich schreibe Ihnen nicht, wie die Dinge hier sind, weil mir das vollkommen unmöglich ist. Übermitteln Sie meine Empfehlungen an meine Freund, aber sagen Sie ihnen, sie sollen mir nicht schreiben, denn das ist unter den gegenwärtigen Umständen, da jedes Wort in einem bösen Sinne interpretiert werden kann, von entscheidender Bedeutung; Papier ist heutzutage ein böser Schatz, in jedem Augenblick kann es ein Stück rotglühender Kohle werden,” schrieb Karl August Varnhagen van Ense aus Berlin an seinen Verleger.
Sie wissen schon, ein falscher “Like” zu einem Artikel, ganz zu schweigen von der falschen Meinung im Kommentar, kann Sie heutzutage ganz flott vor den Kadi bringen, wo sie sich dann wahrscheinlich wegen Volksverhetzung, Begünstigung des russischen “Angriffkriegs”, Diskriminierung von Diversen oder Delegitimierung des Staates verantworten müssen. Der Europäische Digital Service Act liegt da ganz auf Linie.
In Frankreich war es nicht anders. Kurz nachdem die letzten alliierten Truppen Frankreich Ende 1818 verlassen hatten, kam es zu einer Regierungsumbildung. Der neue, relativ unerfahrene Innenminister Decazes hatte mit großen Widerständen zu kämpfen (die manchmal auch eingebildet waren) und wusste sich nicht anders zu helfen, als hart gegen jegliche verdächtige Opposition durchzugreifen. Menschen wurden verhaftet, weil sie «Vive l’Empereur!» oder «Á bas les Bourbons!» gerufen hatten, auch wenn es sich dabei eher um spontane Wutausbrüche über den Verlust eines Arbeitsplatzes oder einer Geliebten, um Empörung über die Höhe der Steuern oder des Brotpreises handelte oder auch einfach nur um Frustration und Unzufriedenheit – und jedenfalls nicht um Anzeichen irgendwelcher Umsturzpläne. Spitzel und Denunzianten beherrschten das Öffentliche Leben auch in Frankreich, was zu den absurdesten Verdächtigungen führte. Hier ein paar Beispiele:
In Besançon löste ein mouchard (ein bezahlter Spitzel) mit seinem Bericht über eine «große Organisation von Agitatoren» eine Fahndung aus: Er habe Leute auffällig miteinander kommunizieren sehen, indem sie auf der Straße auf verschiedene Weise unauffällig an ihren Schnurrbärten gezupft hatten.11 Nachdem Napoleon das letzte Mal von der politischen Bühne abgetreten war, verboten die bourbonischen Behörden alle pro-napoleonische Literatur, derer sie habhaft werden konnten. Die Angst vor einer abermaligen Rückkehr des Kaisers war so groß, dass sogar Symbole napoleonischer Herrschaft, Gemälde etc. verboten wurden.
1816 wurden zwei Handwerker aus Beauvais verhaftet, weil sie die Absicht geäußert hatten, ihre Söhne Paul-Joseph-Bonaparte und Louis-Henri-Napoléon zu nennen. Ein Arzt in Albi wurde festgenommen, weil er seine Tochter Marie-Louise-Néapoldine, ein anderer, weil er die seine Marie-Louise-Napoléonide genannt hatte. Nicht selten kamen Menschen in Gewahrsam, weil sie ein Veilchen im Knopfloch trugen. [s.o. S. 140] Zamoyski stellt fest, dass die Aufstände von 1816/17 fast ausschließlich mit der Nahrungsmittelknappheit nach dem Ausbruch des Tambora zusammenhingen. In Lyon 1819 waren es Proteste gegen die Einführung des Jaquardwebstuhls, dennoch wurden jeglicher Aufruhr als politisch motiviert oder gar als Verschwörung beschrieben. In einigen nachgewiesenen Fällen wurden gewisse Verschwörungen sogar von den Spitzeln selbst eingefädelt oder erfunden, um ihre Prämie zu kassieren.
In England ging es weniger um die Gefahren von nationalen Bewegungen, sondern wieder, wie eigentlich stets, um Proteste, die aus sozialer Not entstanden. Allerdings wurde auch hier versucht, Revolutionen zu erfinden, wo keine waren. In Schottland versammelten sich am 16. Juni 1819 40 000 Weber vor den Toren Glasgows, und forderten in einer Petition der Arbeitslosen Geld für die Überfahrt nach Kanada, und nur infolge der Lobbyarbeit einiger Radikaler wurde die Forderung nach einer Parlamentsreform angehängt. Während diese Versammlung noch friedlich verlief, wurden Aufruhr, Rebellion und Forderungen der Unterklasse auch in England nicht gerne gesehen und brutal unterdrückt. So zum Beispiel am 16. August 1819 als Husaren sich in Manchester mit der flachen Seite ihrer Säbel einen Weg durch eine riesige Menge von 50 000 bis 60 000 Menschen bahnten, die unter anderem eine Parlamentsreform forderten. Fünfzehn Menschen wurden im Gedränge sofort getötet, hunderte verwundet, weitere erlagen später ihren Verletzungen, darunter auch viele Frauen und Kinder, was die Empörung weiter schürte. Die Regierung nutzte die Tumulte, um repressive Gesetze zu erlassen.
Manchester, im August 1819
Der Innenminister vertrat die Auffassung, dass (in den Worten eines seiner Korrespondenten) “jede Versammlung für eine radikale Reform nicht nur einen aufrührerischen Versuch darstellte, die existierende Regierungsform zu untergraben, indem sie diese dem Hass und der Verachtung preisgab, sondern zugleich eine landesverräterische Verschwörung gegen die Verfassung und den König an ihrer Spitze”.12 Ersetzt man “Verfassung” durch Grundgesetz und “König” durch BRD, könnte man meinen einen aktuellen Text von Frau Faeser oder dem Verfassungsschutz vor sich zu haben. Es fehlt nur noch das Wort “Delegitimierung”.
Wer eine Untersuchung forderte, wurde der Volksverhetzung angeklagt, und das traf sogar angesehene Leute wie den Earl Fitzwilliam, der seinen Leutnantsrang verlor, weil er an einer Versammlung zugunsten einer solchen Untersuchung teilgenommen hatte (auch hier sind Parallelen zur Gegenwart kaum zu übersehen. Wer sich zur AFD bekennt, wird heutzutage aus der Kirche, aus Vereinen und aus der Politik sowieso ausgeschlossen, und dem droht am Ende auch noch Kündigung). Verschiedene Gesetze wurden erlassen, die massive Einschränkungen für öffentliche Versammlungen mit mehr als 50 Personen vorsahen, Märsche und Transparente verbot (wie es auch in der Corona-Zeit geschah!), das Recht auf Waffenbesitz einschränkte und durch die Hintertür Zensur einführte. Mir ist, als blicke ich in einen Spiegel unserer Zeit.
Verschwörung, Aufruhr und Zensur
Auf dem Kontinent wurden Anzeichen der aufkommenden Nationalbewegungen weiterhin peinlichst verfolgt und unterdrückt, und deren Vertreter, Handwerksgesellen und Intellektuelle, flüchteten ins Ausland, in die Schweiz, nach Paris, Hamburg, ja sogar nach Russland, oder ausgerechnet nach London. Seit 1826 waren die strengen, die Einwanderung reglementierenden britischen Einwanderungsgesetze (Alien Acts) durch den “permanent Aliens Registration Act” ersetzt worden, womit sich der Aufenthalt in England, Schottland und Irland auf eine relativ simple Formalität beschränkte. Allein aus diesem Grund flüchteten viele verhinderte Reformer nach England.
Alternativ gingen die potentiellen, vermeintlichen oder auch echten Revolutionäre in den Untergrund, um Geheimorganisationen wie die Carbonari oder den “Bund der Geächteten” zu gründen. An den Universitäten und unter der Arbeiterschaft in den Großstädten zirkulierten subversive Schriften, lose organisierte, demokratisch-reformerische, national ausgerichtete Netzwerke und Seilschaften entstanden. Am 18. Oktober 1817 versammelten sich Studenten von zwölf Universitäten in Thüringen auf der Wartburg, wo Luther einst die Bibel übersetzt hatte. In altdeutsche Tracht gekleidet warfen sie verschiedene Symbole ins Feuer und einige Schriften, die ihnen nicht passten, z.B. den Code Napoleon, und sangen patriotische Lieder.
Es waren weniger als 500 Studenten, und dennoch ward ihnen übermäßige Aufmerksamkeit zuteil. “Von dort sind es nur noch wenige Schritte zu regelrecht revolutionären Aktionen, schrieb der Herzog Karl zu Mecklenburg, und befürchtete einen Angriff auf alle Herrscher, große wie kleine.
In Russland wurde zur selben Zeit hart gegen den Atheismus und die “Unmoral” vorgegangen. Lehrer wurden entlassen und Bibliotheken von ruchloser Literatur gesäubert, Vereine aufgelöst und auch der Ton gegen die Presse wurde schärfer. In der Armee rumorte es, weshalb ein Spionagenetz aus Soldaten und Offizieren aufgebaut wurde, die ihre Kameraden denunzieren sollten. Im Dezember 1825 kam es zum Dekabristenaufstand, der schließlich blutig niedergeschlagen wurde. Zar Nikolaus persönlich übernahm das Verhör vieler Verdächtiger, und behauptete schließlich, die Verschwörung sei das Werk eines europaweiten Netzwerks von Geheimgesellschaften gewesen. Eine Krankheit habe Russland heimgesucht, und von dieser müsse die Gesellschaft gereinigt werden. Damit ging die Überwachung und Bespitzelung erst richtig los.
Nikolas stärkte die Zensur, um zu kontrollieren, was junge Menschen lasen und deren Bildung in ordentliche Bahnen zu lenken. Alle neuen Publikationen wurden aus dem Verkehrt gezogen, wenn sie zu spekulativem Nachdenken anregen konnten. Zweitens sollte die Gesellschaft moralisch gefestigt werden, was nicht einfach umzusetzen war, und von der Prüderie des Zensors abhing. Außerdem wurde natürlich jegliche Kritik an Regierung und Verwaltung sowie alles andere verboten, das irgendwie den Respekt für das System schwächen konnte, was zu einer kleinlichen Verfolgung jeder denkbaren Bemerkung verkam, die ein Mitglied des Staatsdienstes als Verunglimpfung seiner Arbeit interpretieren konnte.
Na so was, einen Politiker (alle außer der AFD) zu kritisieren, grenzt heutzutage bekanntlich ebenfalls bereits an Hochverrat.
In seinem Jahresbericht von 1828 prahlte Benckendorff, neuer Chef der Geheimpolizei, in ihrem dreijährigen Bestehen habe die Dritte Sektion Akten über «alle Personen angelegt, die sich in irgendeiner Form von der Allgemeinheit abheben», und «alle Liberalen, Enthusiasten und Apostel einer russischen Verfassung» seien unter Überwachung gestellt worden. Ihre Informanten waren allerdings so schlecht, dass nach Aussage des russischen Historikers, der den besten Zugang zu ihrem Archiv hatte, die Dritte Sektion ganze Berge irrelevanter Informationen verarbeitete, wie zum Beispiel die Farbe der Strümpfe eines Ballbesuchers oder wie viel jemand an einem bestimmten Tag im Kartenspiel gewann oder verlor. Damit demonstrierte sie der Öffentlichkeit ihre Allwissenheit, erhielt aber keinerlei substanzielle Beweismittel. Und 90 Prozent der Informationen, die sie von unbezahlten Informanten bekam, waren falsch.13
Nicht nur in England, Frankreich und Russland, sondern auch im von Österreich dominierten Deutschen Bund brach eine Zeit der Repressionen an. Die Delegierten der führenden Staaten des Deutschen Bundes stimmten im August/September 1819 in den Karlsbader Beschlüssen den restriktiven Maßnahmen zu, die den Schutz der bestehenden Ordnung vor nationalen Strömungen sowie die Zerschlagung revolutionärer Umtriebe zum Ziel hatten, was z.B. in einem strengen Pressegesetz zum Ausdruck kam. Dieses sah Zensurmaßnahmen für Bücher und die Beschränkung der Einfuhr von Druckerzeugnissen vor, die Universitäten wurden überwacht und die Burschenschaften verboten. Es war wie Gentz, der Sekretär Metternichs, anerkennend notierte, der “größte Schritt rückwärts seit 1789”.
Wehret den Anfängen war die Losung, und vor Zuständen wie vor der Französischen Revolution wurde gewarnt. Nicht nur Studenten sondern jeder Gebildete war nun verdächtig, das preußische Rechtssystem wurde zu einem Instrument der Gesinnungsschnüffelei. (Parallelen gefällig?)
Die Nationalbewegungen hatten, das wird leicht übersehen, immer auch eine sozialistische Komponente, denn diese Bewegungen suchten ja aktiv nach einem neuen politischen System, in dem sie nicht nur ein gewisses Mitspracherecht erhielten, von anderen Forderungen wie Pressefreiheit einmal abgesehen, sondern das Endergebnis des neuen nationalen politischen Systems sollte natürlich auch eine Verbesserung der Lebensumstände des Großteils der Bevölkerung mit sich bringen, mindestens aber für den Mittelstand. Erst die wachsende Arbeiterschaft im Zuge der Industrialisierung lenkte die Aufmerksamkeit des Gros der Intellektuellen und “Berufsrevolutionäre” auf diese neue “Klasse”, was in einem anderen Teil zu besprechen sein wird.
Um 1830 - Die Lage spitzt sich zu
Die Angst der Obrigkeit war groß nach dem Wiener Kongress, dass irgend etwas - Arbeiterforderungen oder nationale Bewegungen - die neue, gerade mühsam vereinbarte Ordnung niederreissen würde. Folglich waren Zensur, Geheimpolizeien, agents provovateurs, Repressionen und härteste autoritäre Mittel an der Tagesordnung, um aufkeimende Rebellionen bereits im Keim zu ersticken und Radikale aufzuspüren. In Frankreich und England wurde als Reaktion der niederen Klassen auf die Unterdrückung zunehmend das Mittel der Arbeiterstreiks eingesetzt, um z.B. Lohnforderungen und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Arbeitsniederlegungen wurden aber auch als Möglichkeit angesehen, der Obrigkeit politische Forderungen und Petitionen zu Gehör zu bringen. Nicht selten trieb die schiere Not Arbeiter und Bauern auf die Barrikaden.
In Irland, in der Wallonie, im Rheinland und auch in Frankreich kam es 1829 aufgrund von Nahrungsmittelknappheit, Arbeitslosigkeit und Armut zu Hungeraufständen. Während der Juli-Aufstände 1830 wurde der französische König Karl X. abgesetzt, was besonders in Deutschland und Belgien Jubel auslöste. In Brüssel sprang der Sturm der Begeisterung vom Theater auf eine Menschenmenge über, die sich in einen Mob verwandelte, der Regierungsgebäude angriff. Zwei Wochen später wurde im Gefolge eines Hungeraufstands in Braunschweig das Schloss des regierenden Herzogs Karl von Demonstranten angegriffen, die eine Wiedereinberufung des Parlaments, der Landstände, forderten. Das Schloss wurde geplündert, der Despot floh. Auch in Kur-Hessen regte sich ein Aufstand, wegen des Brotpreises, wegen Zunftregeln und Abgaben.
Als der nach England geflohene französische König Karl X. in Portsmouth anlegte, war er erstaunt dort überall die französische Trikolore wehen zu sehen. Dann brach im Sommer 1830 auch noch ein spontaner Aufstand von Arbeitern im Süden Englands aus, ausgelöst durch Armut, niedrige Löhne, hohe Zinsabgaben und die Einführung von Dreschmaschinen. Die Regierung entsandte Kavallerie-Einheiten, um Macht zu demonstrieren. Ende November brach eine Revolution in Polen aus und wieder in sich zusammen. Der Zar schickte Truppen.
Am 30. November 1830 starb auch noch der Papst, das Gefühl der Unsicherheit nahm in Europa zu, in einigen Gebieten Italiens wie in Modena und Bologna brachen Unruhen aus. In England wurden im selben Monat bei sporadischen Gewaltausbrüchen Fenster eingeworfen, Feuer gelegt und Häuser geplündert, nachdem Wellington erklärt hatte, dass es zu seiner Amtszeit keine Parlamentsreform geben würde …
Aufstand der Seidenweber in Lyon
1831 und 1834 kam es in Lyon zu Aufsehen erregenden Aufständen der Seidenweber, die nach ersten Erfolgen der Arbeiter vom Militär niedergeschlagen wurden. Eine gute Beschreibung von Ursachen und Verlauf der Rebellion fand sich hier.
Textilindustrie - Keimzelle der Arbeiterschaft
Abgesehen vom Kolonialhandel konnte man mit Wenigem so rasch zu Reichtum und neuem Kapital kommen wie mit Textilfabriken, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Hier ein Blick auf Frankreich:
Die Seidenverarbeitung organisierte sich nach dem für die damalige Textilindustrie üblichen Verlagssystem: Ein Handelskapitalist, der „marchand-fabricant“, kaufte Rohseide ein und ließ sie über Kommissionäre an Meister verteilen. Diese Meister waren Besitzer kleiner Werkstätten mit ca. zwei bis acht Webstühlen und verarbeiteten mit Hilfe einiger bei ihnen angestellter Gesellen das Rohprodukt zu Seidenstoffen. Von dem Lohn, den die Meister dafür von den Fabrikanten erhielten, mussten sie die Produktionskosten, ihren Lebensunterhalt und den Lohn (sowie gegebenenfalls die Unterbringung und Verpflegung) der angestellten Arbeiter bezahlen.
In Lyon belief sich die Anzahl der Fabrikanten 1831 auf ca. 830, denen 8000 Meister und 30.000 Arbeiter unterstellt waren.
Durch die gegenüber Frankreich stärkere industrielle Entwicklung Englands und des preußischen Rheinlandes verloren die Lyoner Fabrikanten ihr Weltmarktmonopol. Seide ließ sich jetzt in Macclesfield, Krefeld oder Köln mit Hilfe von Dampfkraft günstiger verarbeiten als in Lyon. [Link]
Es gab immer weniger Arbeit und selbst wenn die Arbeiter Beschäftigung fanden, reichten die Löhne nicht aus. Die hier aufgezeigte Dynamik setzte sich quer durch Europa fort und führte überall zu ähnlichen Ergebnissen, sobald die heimische Industrie nicht mehr mit ausländischen Produkten konkurrieren konnte. Dies galt z.B. auch für die rückständige Industrie Ostpreußens.
Es wäre ohne große Anstrengung möglich, mit der Aufzählung von inneren Krisenherden, Unruhen und regelrechten Aufständen, Monat um Monat, Jahr für Jahr fortzufahren, aber der Punkt dürfte klar geworden sein. Die alte Ordnung konnte mit dem System Monarchie und Handelskapitalismus nicht mehr lange aufrecht erhalten werden, weshalb die gekrönten Häupter irgendwann sogar froh sein würden, ihren Status - nicht unbedingt aber die Macht an sich - mit Kaufleuten, Bankiers, gemeinen Politikern, Industriellen und Wissenschaftlern zu teilen.
Die mehr oder weniger spontanen Aufstände und unkoordinierten Unruhen des Mobs, wegen konkreter Ungerechtigkeiten und aus purer Not geboren, waren aber nicht die einzige Sorge der Obrigkeiten. Zum einen waren da aufrührerische Schriften von Intellektuellen, welche mit strenger Zensur bekämpft wurden. Metternich, und mit ihm die anderen Noblen, trieb aber noch eine weitere, konkrete Sorge um: es waren die Clubs, Geheimbünde und Berufsrevolutionäre, denen nur eins gemein war: die bestehende Ordnung stürzen zu wollen und die nicht selten das Ziel einer Nation, ein größeres Mitspracherecht und Pressefreiheit hatten.
Schwarz-Rot-Gold-Blau-Rosa … - VERBOTEN!
Als Warschau 1831 von den Russen eingenommen wurde, flüchteten viele Polen nach Deutschland, und wurden dort mit großer Sympathie aufgenommen. Der Begeisterung für Polen folgte dann ein schwarz-rot-goldenes Fieber, erinnerte sich ein preußischer Offizier, der den Befehl erhielt, alle festzunehmen, die eine Kokarde mit diesen Farben trugen – eine Maßnahme, die «eher die Aufregung steigerte, statt sie zu dämpfen, wie es beabsichtigt war».
Auch heutzutage ist es bekanntlich nicht ratsam, das Wort “Deutschland” in den Mund zu nehmen, eine Deutschland-Flagge zu hissen (etwas, das ich nie tun würde, ebenso wenig wie irgendeine ander Flagge), und so weiter, will man nicht in Gefahr laufen, aus Versehen etwas Verpöntes zu tun oder zu sagen, und dabei quasi “Hochverrat” an der neuen globalistischen Ordnung zu begehen. Björn Höcke weiß davon ein Lied zu singen. Mal sehen, wann die ersten deutsch-klingenden Namen verboten werden, so wie damals, als nach Napoleon der Name Louis-Henri-Napoléon strafbar war. Offensichtlich wird es immer schwieriger, sich frei von der Leber weg zu äußern, nicht nur deswegen oder wegen der Gender-Sprachvorschriften, sondern auch weil neuerdings z.B. ein T-Shirt mit der Aufschrift “USA” als verdächtige Meinungsäußerung gilt. Denn USA könnte “Unser seliger Adolf” bedeuten!
Im Mai 1832 sorgte das volkstümlich nationale Hambacher Fest für große Aufregung. Etwa 20.000 Menschen fanden sich dort ein. Metternich witterte Aufruhr, zumal in Paris am 27. Mai, dem gleichen Tag, deutsche Exilanten ein Bankett mit La Fayette (Mitverfasser der amerikanischen Verfassung und der Erklärung der Menschenrechte) als Ehrengast veranstaltet hatten, was für ihn hinreichend bewies, dass «die Skandale von Hambach» von der französischen Hauptstadt aus gesteuert waren. Metternich nötigte Wilhelm und den deutschen Bund zur Verabschiedung harter Gesetze:
Sie enthielten das Verbot, politische Publikationen aus dem Ausland in Umlauf zu bringen; das Verbot aller Vereinigungen, Versammlungen und Feste; das Verbot, Bänder, Kokarden oder andere Abzeichen zu tragen, Fahnen zu schwenken und Freiheitsbäume zu pflanzen; sie stellten die Universitäten und alle Ausländer unter strengste Überwachung; und sie regelten die Auslieferung von Flüchtlingen und gegenseitige militärische Unterstützung. Anschließend verabschiedete die Kammer ein Dekret, nach dem alle an sie gerichteten Proteste und Petitionen als unbotmäßige Akte der Rebellion bestraft werden würden.
Das fehlt uns noch!
Dies löste eine Welle des Protests und passiven Widerstands aus. Patrioten und Liberale sangen die Marseillaise und die pro-polnische Varsovienne, und als die Behörden dies verboten, ging man zum Singen traditioneller deutscher Lieder über, die mit subversiven Botschaften gewürzt waren. Bekannte Volkslieder wurden verändert, um Hassfiguren wie den preußischen Polizeichef und Justizminister Kamptz zu verunglimpfen und Karl Sand, die Polen oder die griechischen Freiheitskämpfer zu preisen. Es kam zu einem unterschwelligen Wettstreit mit Hilfe von Symbolen. Statt der verbotenen schwarz-rot-goldenen Bänder und Kokarden trug man nun blaue, und als die Polizei begriff, dass es sich um eine arglistige Anspielung auf die untersagten Farben handelte und auch das Tragen der blauen verbot, ging man zu grün über, dann zu rosa und so weiter; die Polizei hinkte jeweils einen Schritt hinterher und ließ sich zu immer absurderen Verboten hinreißen, etwa von bestimmten Arten von Krawatten, Hüten oder Westen, bis schließlich die bayerische Obrigkeit das Tragen jeglicher Barttracht für illegal erklärte.14
Wie lange dauert es in Deutschland anno 2024 noch, bis das Tragen der Farbe blau verboten wird, denn das könnte ja eine böswillige Anspielung auf die Schlümpfe sein, und die wiederum stehen ja bekanntlich für die AFD? Oder war es umgekehrt? Egal.
Epilog
Auf einige Revoluzzer und sozialistisch-kommunistische Vordenker der Zeit zwischen der Französischen Revolution und den 1880er Jahren, als die Fabian Gesellschaft gegründet wurde, möchte ich (vielleicht, falls es sich ergibt) in einem anderen Teil einen Blick werfen.
Abschließend kann ich nur noch sagen, dass wir derzeit die Errichtung einer Neuen Ordnung erleben. Seit wahrscheinlich über 30 Jahren wurden auf den verschiedensten Ebenen Verhandlungen geführt, Alternativen abgewogen, Organisationen gegründet, Gesetze beschlossen, Finanzströme umgeleitet, Details ausgearbeitet und geeignete Strohmänner und -frauen in Führungspositionen eingebracht. Der Tag X kam Anfang 2020, und selbst wenn seither einige Rückschläge des Plans zu verzeichnen wären, so bedeutet dies nur, dass entsprechende Lehren gezogen werden, und der nächste Versuch den letzten an Perfektion noch übertreffen wird. Möglicherweise war die Aktion 2020 ff. aber auch nur eine nötige Vorstufe für das Finale - die digitale Zentralbankwährung (CBDC).
Wir erkennen die Natur dieser Neuen (Welt-)Ordnung an den Methoden, die eingesetzt werden, und diese gleichen nicht zufällig denjenigen, die Metternich & Co nach dem Wiener Kongress ersannen.
Überaus empfehlen möchte ich die beiden Bücher, die nachfolgend genannt werden. Insbesondere aus Phantome des Terrors - Die Angst vor der Revolution und die Unterdrückung der Freiheit 1789 - 1848 von Adam Zamoyski, DTV 2014 wurde ausgiebig zitiert, jedoch nur ein Bruchteil der darin zusammen getragenen Informationen angesprochen. Die Farbe Rot - Ursprünge und Geschichte des Kommunismus von Gerd Koenen ist ebenfalls empfehlenswert, ein umfangreiches, gut lesbares Werk mit einer Fülle an Informationen über die Geschichte des Kommunismus und des Sozialismus.
PS: Demnächst werde ich mit einem blauen Schal bekleidet ausgehen. Ein schwächliches Zeichen gewiss, das Pendel werde ich damit nicht aufhalten. Aber vielleicht folgen ja bald mehr Leute diesem Beispiel, und dann …
Die Farbe Rot - Ursprünge und Geschichte des Kommunismus, C.H.Beck 2017, S. 158f.
s.o. S. 179
s.o. S. 179f.
s.o. S. 181
s.o. S. 182
s.o. S. 468f.
s.o. S. 342
s.o. S. 196
s.o. S. 227
s.o. S. 140
s.o. S. 244
s.o. S. 383
s.o. S. 428
Vom Utopismus zur Fabian Gesellschaft (I)
Lachen Sie nicht, es gibt schon wieder einen ersten Teil, weil die verdammte Geschichte sich einfach nicht in einen einzigen Artikel pressen lassen will. Dieser Teil wird insbesondere auf die philosophischen Grundlagen und Theoreme blicken, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erdacht wurden und die im weitesten Sinne etwas mit Sozialismus und einer Ne…