Vom Schutzamulett zur Schutzimpfung 4 - 5
Exkurs Physikotheologie - über Zerstörung und Rettungversuche der Bibelgeschichte durch Naturphilosophen und Fossilien
Bild: Frontispiece of „The Granite Controversy“ by H. H. Read (1957), drawn by D. A. Walton. Die Karikatur [Kartoon gefunden auf Quelle] trägt den Titel „Die Granit Kontroverse.“
Wieder möchte ich darauf hinweisen, dass allfällige Fußnoten aus Word leider nicht ins substack-Format übertragen werden (ebenso wie Grafiken und unglücklicherweise auch in Kursiv gehaltene Textstellen), der Quellennachweis somit sehr dünn ausfällt, und dass Korrekturen und Ergänzungen des vorliegenden Textes bis zur Fertigstellung der Endfassung des Buches geradezu zu erwarten sind. Es folgen zunächst einige Ergänzungen zu Kapitel 3, die dann doch das eigenständige Kapitel 4 ergaben.
Anmerkung: Vielleicht ist nicht unbedingt nachvollziehbar, warum ich in diesen ersten Kapiteln diverse Themen aufgreife, die nicht direkt etwas mit Medizin, Krankheiten oder Amuletten zu tun haben. Einer der Gründe für dieses Vorgehen ist, dass ich das Gefühl habe, zunächst einige Ungereimtheiten der offiziellen Geschichte wenigstens ansprechen zu müssen, um dann hoffentlich ab dem 7. Kapitel einigermaßen chronologisch und inhaltlich geordneter voranschreiten zu können.
Inhalt:
4. Eisenzeit, Schrifttum und Staatenbildung
4.1 Exkurs - Eisenzeit vs. Bronzezeit
5. Exkurs Physikotheologie - über Zerstörung und Rettungversuche der Bibelgeschichte durch Naturphilosophen und Fossilien
4. Eisenzeit, Schrifttum und Staatenbildung
Zwecks Erfindung der Keilschrift müssen (früher oder später) drei Vorbedingungen gegeben sein:
1. Lehm oder Ton
2. Öfen, zum Brennen von Ziegeln bzw. Schrifttafeln und
3. eine Schrift,, die nicht nur geschrieben werden konnte, sondern – Achtung wichtig – auch gelesen werden musste!
Dem Erfinder des Schrifttums gebührt wahrlich Respekt. Denn wer soll die Schrift lesen, wer sie verstehen? Warum wurde Schrift erfunden und wer sorgte dafür, dass sie auch gelesen werden konnte? Wer erfand eigentlich Sprache und somit Wörter?
Gemäß umfangreicher Recherchen zu Chronologie-Themen und Evolution gibt es etliche Fragen zur Evolutionstheorie, zur Entstehung des Universums und zur Chronologie, zur Geschichtsschreibung … Aber nicht einmal das Rätsel der Entwicklung von Sprachen konnte ich lösen. In der Tat – seit wann sprechen Leute eigentlich miteinander und über was redeten sie eigentlich, bevor es DIE Schrift gab? Fragen über Fragen …
Lehm oder Ton? Kein Problem in „Sumer, Ägypten oder am Gelben Strom in China. Einen Ofen bauen und diesen dann zu optimieren? Kein Problem, nach ein paar tausend Jahren müssten auch die beschränktesten Vorfahren das Prinzip herausbekommen haben, wie ein effizienter Ofen funktionieren könnte. Ein kleines Rätsel bleibt noch, denn Eisenerz ist prinzipiell bei einer niedrigeren Temperatur formbar als Kupfer, weswegen nicht ganz klar ist, weshalb die Eisenzeit nicht vor der Bronzezeit kam. Darüber hinaus ist Bronze auch noch eine Verbindung von mehreren Metallen. Höchst wahrscheinlich haben wir es aber wieder mit einem Chronologie-Problem und Verdoppelungen der Geschichte zu tun und nicht mit einem unerklärlichen Rätsel.
In einem sehr ausführlichen Artikel mit dem Titel „Rätsel der Urzeit“1 widmete ich der sogenannten Bronzezeit sowie der Eisenzeit einige Aufmerksamkeit, weshalb an dieser Stelle daraus zitiert werden soll. Hinzu kamen einige Anmerkungen und Korrekturen des ursprünglichen Textes.
4.1 Exkurs - Eisenzeit vs. Bronzezeit
Die Eisengewinnung soll offiziell 1200 v. Chr. im Hethiterreich (Ostanatolien) begonnen und das Wissen danach den östlichen Mittelmeerraum erreicht haben. Andererseits hat der nach offizieller Chronologie 1337 v. Chr. verstorbene Pharao Tutanchamun einen prächtigen Dolch mit ins Grab bekommen. Daraus ergibt sich (eigentlich): wenn jemand 1337 v. Chr. einen Dolch herstellen konnte, der heute immer noch funkelt, dann handelt es sich hierbei a) nicht um einen Dolch aus reinem Eisen sondern um eine Art Legierung, weswegen b) unumgänglich eine Entwicklungszeit vorauszusetzen. Eisen gab es theoretisch, falls niemand nachgeholfen hat, zunächst als Eisenerz und -produkt und nicht als eine höchst aus-gefeilte Mischung aus Eisen und anderen Elementen. Eine Entwicklungsgeschichte der Metallurgie ist folglich unabdinglich, falls die Götter oder weise Lehrer nicht die fertige Formel samt Gebrauchsanweisung aus dem Ärmel zauberten. Man glaubt nun jedoch herausgefunden zu haben, dass der hohe Nickelanteil des Stahls auf Meteoriteneisen hinweist.2
Das kleine Problem mit der soeben wiedergegebenen offiziellen Unwissenheit bezüglich dieser Daten beginnt nicht erst damit, dass dieses Hethiterreich laut den völlig überzeugenden Beweisen von Dr. Velikovsky eine Verlegenheitslösung der Historiker darstellt, bzw. eine Erfindung ist. Auch Gunnar Heinsohn bezieht bezüglich der Hethiter eindeutig Stellung:
„Die Hethither von -1700 bis – 1100 gab es nicht, aber die Kapadikier (Keter, Katpatuker) von -750 bis -190 gab es doch.“3
Es geht weiter mit dem Umstand, dass der berühmte Tutanchamun ca. 500 Jahre später lebte (und demnach eben nicht -1337 v. Chr. verstarb). Dies ist meiner Meinung nach wirklich keine Theorie zu nennen, all das ist in den verschiedensten Büchern von Dr. Immanuel Velikovsky genauestens erläutert und belegt worden, selbst wenn einige der Schlussfolgerungen Velikovskys, z.B. die Planetentheorie umstritten sind, und mittlerweile eher auf Meteoriten getippt wird, welche in der Bronzezeit ihr Verheerungswerk verrichteten. Wenn man dann weiter forscht, stößt man auf eine noch kürzere ägyptische Geschichte, s. Herbert Gabriel,4 dessen Fachwissen schwer beeindruckt.
Interessant ist nun, das Eisen einst bei den Ägyptern als „Knochen des Typhon“ angesehen wurden, oder als Überreste der Schlange (Phaeton). In China glaubte man, Gold wäre aus Drachenatem entstanden, und Glas oder Kristall seien der gefrorene Atem des Drachen. Da der kosmische Unheilsbringer in alten Legenden immer wieder mit einem oder mehreren Drachen verglichen wird, scheint hier der Ursprung jener Legenden zu liegen, die von Drachen erzählen, welche einen Hort von Gold bewachen. Nach einer ähnlichen Sage erzeugten die Begleiter Phaetons, Leviathan und Behemoth, Gold und Edelsteine. In Peru betrachtete man Gold und Silber als Tränen der Sonne, später als Tränen des Mondes.
Die Rätsel der Erfindung von Eisen drehen sich auch um die Frage, wieso das Bronze-Zeitalter eigentlich vor dem Eisen-Zeitalter kam. Dieses System, die Vergangenheit der Menschheit nach dem Material einzuteilen, aus welchem der historische Mensch seine Werkzeuge und Geräte herstellte, schlug in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ein Gelehrter vor. Wir reden von Stein und Knochen, von Bronze und von Eisen. Eine tolle Idee, die schließlich in einen Dschungel von Unterkategorien I, II und manchmal III ausartete, welche sodann um weitere Unterkategorien erweitert wurden, schließlich gab es ja auch Töpferwaren, also Keramik. Man konnte in Fachkreisen nun Begriffe wie Spätbronze I a oder Jungeisenzeit II b verwenden.
Erwähnt wurde das Datum um -1200, in dem die Eisenzeit begonnen habe, allerdings wird auch gesagt: „Wenige Themen sind umstrittener als das Datum, ab welchem Eisen in Ägypten erstmals Verwendung fand.“
Oha! Kommen wir nun eben zu dem seltsamen Umstand, dass Eisenerz auf der Erde weiter verbreitet ist als Kupfer und Zinn. Und:die Metallurgie des Eisens ist einfacher als diejenige der Bronze.
Eisen kann schon bei 550 Grad Celsius aus dem Erz gewonnen werden. Man nennt diesen Vorgang Verhüttung. Bringt man dieses Roheisen zum Glühen (ab ca. 500 Grad Celsius) ist es schmiedbar. Der Schmelzpunkt liegt andererseits bei ca. 1500 Grad Celsius, d.h. Eisen konnte u.a. mangels geeigneter Öfen zunächst nicht in For-men gegossen werden, was die Verwertbarkeit von Eisenerz gegenüber Metallen, die einen geringen Schmelzpunkt besaßen, bestimmt verringerte.
Die Gewinnung von Kupfer aus Erz benötigt hingegen nur Temperaturen von ungefähr 1085 Grad Celsius. Bei diesen Temperaturen schmilzt das Kupfer und kann in Formen gegossen werden. Mit Kupfer allein lässt sich jedoch kein stabiles Werkzeug anfertigen, es ist zu weich. Irgendein genialer Geist kam sodann auf die nicht unbedingt naheliegende Idee Zinn zum Kupfer hinzuzufügen, und erst durch die richtige Mischung erhält man die Bronzequalität, welche sich für Werkzeuge und Waffen eignete. War der Erfinder des Bronzeguss gleichzeitig auch der erste Alchemist? Zweifellos stellt die Erfindung des Bronzeguss einen Markstein dar in der Entwicklung von Kultur und Technik der Menschheit.
Die Fabrikation von Legierungen markiert einen entscheidenden Fortschritt in der Kunst der Metallurgie; sie stellt ein fortgeschrittenes Stadium dar im Vergleich zur reinen Metallgewinnung aus dem Erz und dem In-Form-Schmieden.
Nicht zu unterschätzen in dieser Geschichte ist der Umstand, dass die Kunst des Brennens von Ton ebenso wie die Kunst Metall zu verarbeiten vom Stand der Ofentechnik abhing. Die benötigten hohen und gleichmäßigen Temperaturen wurden aber mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht nur dank einer effizienteren Technik erreicht, sondern auch dank dem Einsatz von Holzkohle. Womit deutlich wird: je größer oder stärker der Stadtstaat, desto größer der Bedarf an Holz, nicht nur zur Verwendung als Bauholz, sondern auch zum Erhalt der Keramikindustrie, zum Brennen der Ziegel für Gebäude und Mauern sowie der zehntausenden, wahrscheinlich hunderttausenden gebrannten Tontafeln. Nur vermittelst effizienter Öfen, welche die benötigten Temperaturen bereitstellen konnten, sowie Holzkohle als Brennstoff konnte das Metallzeitalter beginnen. Wer als erster auf die Idee kam einen Metallklumpen in einen Ofen zu legen, und der irgendwie herausfand, dass verformbares Eisen nützlich war, werden wir wohl nie erfahren.
Kupfer mit Zink legiert wird Messing genannt. Diese Legierung ist aus relativ später Zeit bekannt; „Messing“, die Übersetzung des biblischen „nechoschet“, bedeutet eigentlich sowohl „Kupfer“ als auch „Bronze“, ohne zwischen den beiden zu unterscheiden.5 Die Frage, wieso Eisen, das doch einfacher zu gewinnen und zu formen war, und viel härter als Bronze ist, nach der Bronze-Zeit gekommen sein soll, wird verkompliziert durch den Umstand, dass die verschiedenen Roherze natürlich nicht in jeder Gegend beliebig vorkamen, bzw. in einigen Gegenden leichter ausgebeutet werden konnten. Kupfer kann aus Malachit gewonnen werden, kann aber manchmal wohl auch in gediegener Form vorkommen. In Ägypten selbst gab es Eisenvorkommen von geringer Qualität und im Sinai-Gebiet existierten Malachitminen. Die Inschriften informieren uns, dass sie bereits schon im „Alten Reich“ ausgebeutet wurden; Schlackenhaufen neben den Minen zeigen an, dass die Gewinnung an Ort und Stelle erfolgte. Vor dem Ende des „Alten Reiches“ lieferten die Kupferminen auf Zypern Metall nach Ägypten.
Zinn jedoch fand man in den Zentren der Bronzeverarbeitung Zypern, Ägypten oder Griechenland nicht. Die Bronzezeit war abhängig vom Handel mit Zinn, und den gab es zum Beispiel auf den Britischen Inseln, die auch„Zinn-Inseln“ genannt wurden. Doch wie weit reicht die Vorgeschichte um das Wissen zur Eisengewinnung zurück? Niemand weiß es, außer den Göttern und den Fachleuten. Doch die sind sich nicht im geringsten einig. Hier einige der von Dr. Immanuel Velikovsky zusammengetragenen Stimmen zum Thema: Wann begann die Eisenzeit in Ägypten?
Die Eisenzeit in Ägypten „könnte jetzt noch als Vorläuferin der Bronzezeit nachgewiesen werden, “ ist die Ansicht einer Autorengruppe. Die Eisenzeit begann ungefähr -1800 mit dem Ende des Mittleren Reiches, ist die Meinung einer anderen Gruppe, oder zur Zeit von Ramses II. laut einer dritten Gruppe. Die ausgebildete Eisenzeit begann ungefähr -1200, das heißt zur Zeit von Ramses III., verfechten ein paar weitere Gelehrte. Viele ziehen das Datum -1000 unter der libyschen Dynastie vor. „Die jüngere Eisenzeit Ägyptens begann nicht vor -800 (zwischen der 22. und der 25. Dynastie).“ Das Jahr -700„kann als der Beginn der Eisenzeit in Ägypten angesehen werden“, ist eine oft gehörte Erklärung. Es wird auch versichert, dass die früheste Verhüttung in Ägypten (in Naukratis) aus dem 6. Jahrhundert datiert. […] „Über Eisen wurden mehr sich widersprechende Erklärungen laut als über irgend ein anderes Metall.“6
Dann wieder wurden eben doch Artefakte aus Stahl gefunden, die dem „Alten Reich“ und sogar vordynastischen Zeiten zugeordnet werden.
„In El-Gerzeh, etwa 80 Kilometer südlich von Kairo, wurden Eisenperlen gefunden, die vordynastischen Zeiten zugeordnet werden konnten. Ein Eisenmeißel wurde zwischen den Steinen der großen Pyramide aus der 4. Dynastie gefunden. Eine Reihe von Meißeln und andere Werkzeuge aus der 5. Dynastie sind in Sakkara gefunden worden, nicht weit von Kairo. Mehrere Stücke einer Breithacke aus der 6. Dynastie sind in Abusir ans Tageslicht gebracht worden und ein Haufen zerbrochener Werkzeuge aus der gleichen Periode in Dahschur; in Abydos ist ein Klumpen aus Eisenstaub, wahrscheinlich ein Keil,entdeckt worden. […] Die meisten dieser Objekte wiesen Nickelgehalt auf, was darauf schließen lässt, dass sie aus Meteoriteneisen hergestellt wurden. Die Große Pyramide und Stücke aus Abydos enthielten „Spuren von Nickel“, aber die Analysen waren nicht überzeugend. Meteoritisches Eisen muss nicht aus dem Erz gewonnen (verhüttet) werden. Wenn nur meteoritisches Eisen verwendet und kein Metall aus dem Erz gewonnen wurde, so kann der Herstellungsprozess nicht als vollständig betrachtet werden, und die Eisenzeit hatte noch nicht begonnen“, erklärt Dr. Velikovsky.
Andererseits is meteoritisches Eisen schwieriger in Form zu schmieden als Eisen aus Erz. Einige Gelehrte betonen, dass Geologen nur ein paar hundert Tonnen Meteoreisen gesammelt haben, vor allem in der westlichen Welt, und dass demzufolge – solange die Quellen so spärlich waren – die echte Eisenzeit nicht beginnen konnte.7
Vielleicht wurde die Metallurgie ja erst durch die Verwendung von Meteoriteneisen überhaupt erst angeregt.. Die Antwort auf die Frage nach dem Beginn von Bronze- und Eisenzeit ist also, dass die Zeitalter möglicherweise an verschiedenen Orten gleichzeitig existierten, dass aber die Verarbeitung von Bronze auf dem Handel mit Zinn basierte. Für den Transport der Erze kam im Grunde genomen nur der Seeweg in Frage, was wiederum die faszinierende Frage nach den Fahrzeugen dieser wagemutigen Händler und Seefahrer aufwirft,der wir hier allerdings schleunigst ausweichen.
Bleibt noch die Sache mit der Erfindung der Schrift, dessen Erfinder im Dunklen bleibt, da das Schriftgenie es versäumt hat, seine Urheberschaft der Jahrtausend-Erfindung auf sumerisch, babylonisch, assyrisch, ägyptisch oder sonst wie in Keilschrifttafeln zu meißeln. Der Tat verdächtigt wird ein gewisser Thoth, der natürlich wieder mal zum Gott aufgestiegen ist, und somit im Kreis der Mythen und Sagen verschwindet. Realistisch gesehen dürfte die Erfindung der Schrift auf die Entwicklung einer Bilder- und Symbolsprache zurückzuführen sein, die sich über unbekannte Zeiträume entwickelte. Denn: Zum Schreiben benötigt man weder Papier, Papyrus noch Ton. Es genügt ein Stock und Sand oder Lehm, ein Messer und eine Borkenrinde, ein Stück gegerbtes Leder und Farbstoff oder Kreide und ein glatter Stein. Verschiedensprachige Händler könnten sich in der Anfangszeit der Schrift vermittels einfacher Symbole verständigt haben, lange bevor die Idee mit der Keilschrift aufkam.
Nun ist eines der Merkmale eines Staates aber eben Schrifttum plus Untertanen, und zwar in ausreichender Anzahl, sodass ein Schrifttum überhaupt gerechtfertigt werden kann, d.h. sich lohnt. Nun, wie viele Menschen benötigt es also minimum für eine Staatssimulation? Erinnern möchte, nur nebenbei, dass im Dunklen Mittelalter oder auch später eine „Stadt“ genannt wurde, wenn sie nur 100 oder 200 Einwohner besaß. Einige Städte zur babylonischen Zeit hingegen, wie z.B. Umma, eine Gründung von Ur, nahm immerhin eine Fläche von hundert Hektar ein und hatte zehn- bis zwanzigtausend Einwohner … schreibt James C. Scott in „Die Mühlen der Zivilisation“ (S. 152), und dort wurde auch eine riesige Menge Tontafeln entdeckt, die aus der Zeit um 2255 v. Chr. stammen sollen. In einer Schicht (Uruk IV), die laut offizieller Chronologie noch einmal glatte tausend Jahre älter sein soll, seien die frühesten administrativen Tafeln gefunden worden. Die Datierungen einmal beiseite gelassen (die Details lesen Sie bitte bei Gunnar Heinsohn nach), ist der Inhalt dieser ältesten Tafeln interessant. Es sind nämlich Listen, Listen, Listen – zumeist von Getreide, Arbeitskräften und Steuern.
„Die Themen der erhaltenen Tafeln in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind Gerste (als Nahrungsrationen und Steuern), Kriegsgefangene sowie männliche und weibliche Sklaven. (s. oben)
Das Fazit aus dieser Beobachtung scheint zu sein, dass das frühe, auf Tontafeln verewigte Schrifttum hauptsächlich für buchhalterische Zwecke benutzt wurde, und Sagen, Epen, Herrscherlisten, Lobeshymnen, Chroniken und religiöse Texte erst relativ spät aufkamen.
Ein Staat, der keine Abgaben, Gesetze oder Steuern kennt, ist allenfalls Utopie. Grundbedingungen eines Staates sind weiterhin: ein Staatsgebiet und die Ausübung von Kontrolle über dieses Gebiet. Es fehlt aber noch etwas. Es ist der Handel. Denn kein Staat existiert im Vakuum, d.h. Handel, auch überregionaler, ist (solange kein „Weltstaat“ existiert) immer ein essentieller Bestandteil von Staaten gewesen, ob klein oder groß, intern oder überregional. Überregionaler Handel entstand, so lässt sich spekulieren, vor der regulären Bildung von Stadtstaaten, aber nach Gründung von sesshaften Populationen, die sich in fruchtbaren Flussauen niederließen und dann auch noch den Ackerbau entdeckten.
Eine sesshafte Population wird schon bald die Ressourcen der Umgebung aufgebraucht haben, deshalb die Viehzucht einführen, und durch den Umstand der Sesshaftigkeit höhere Geburtenraten erzielen (es ist eine bekannte Tatsache, dass die Geburtenrate bei Nomaden niedriger ist). Deshalb werden nun noch mehr Ressourcen benötigt, während mittels Heim- und Kinderarbeit gleichzeitig aber auch die Keramikkunst und das Textilhandwerk in Gang kommt, also ein Handels-überschuss erzielt werden kann. Sobald nun aber der überregionale Handel oder gar Fernhandel ins Spiel kam, stehen wir vor dem Problem von Sprachbarrieren. Noch bis zur Neuzeit existieren selbst z.B. innerhalb Deutschlands mehrere z.T. stark voneinander abweichende Dialekte. Nimmt man nicht eine Art Universalsprache an, die einst in der Kindheit der Menschheit existiert habe, worauf aber nichts als die Geschichte vom Turmbau von Babel hindeutet, und die wahrscheinlich neu gedeutet werden sollte, so ergibt sich daraus, dass sich in vorantiken Zeiten Leute aus zwei verschiedenen Dörfern quasi nur knapp verständigen konnten.
Will man nun dennoch Fernhandel betreiben, musste man eben erfinderisch sein, und. z.B. Zeichen in den Sand ritzen und beim nächsten Mal eine gegerbte Kuhhaut mitbringen, auf der man die Bestellliste aufgeschrieben hat. Und natürlich brauchten die Herrscher sogenannter Stadtstaaten ebenfalls so ein System, mit dem die verfügbaren Ressourcen inventarisiert werden konnten. Die nach der Katastrophe X auftauchenden Priesterkönige übernehmen ein solches System und verfeinern es bis hin zur eigentlichen Schriftsprache. So meine Theorie, die jedoch nur wenig nutzt, wenn man nicht weiß, wann genau das alles so war.
Auch aus dieser Perspektive wird aber deutlich, dass sich aus den ältesten Niederschriften der Sintflutsaga nur wenige vage Rückschlüsse auf das exakte Datum der Sintflut oder irgendeiner anderen großen Katastrophe ziehen lassen. Gewisse Anhaltspunkte bezüglich des Datums lassen sich eigentlich nur aus den Grabungsschichten ziehen. Claude F. Schaeffer vermutete bereits in den 1920er-Jahren während seiner Ausgrabungen in Ugarit, dass etwas Ungeheures in der Bronzezeit vorgefallen ist. Übereinander liegen dort vier Zerstörungsschichten, zwischen denen die Stadtkulturen sich jeweils weitgehend ungestört entwickelten.. Schaeffer dachte zuerst an Erdbeben, stellte dann aber fest, dass im 900 Kilometer entfernten Troja, wie von Carl Blegen festgestellt, Zerstörungsschichten existierten, die zeitgleich mit denen in Ugarit lagen. Troia II, das zeitgleich mit Alt-Ugarit II existierte,
„verging in einer ungeheuren Feuersbrunst, die nicht ein einziges Gebäude verschonte. Was wirklich geschehen ist, um die Verbrennung der gesamten Siedlung herbeizuführen, ist immer noch ein ungelöstes Rätsel. [Blegen 1963, 69, 70]8
Interessanterweise fand die sogenannte Mittlere Bronzezeit anscheinend ein abruptes Ende. Claude Schaeffer stellte fest (1948): „Der ausgedehnte internationale Handel, der die mittlere Bronzezeit im östlichen Mittelmeer und den größten Teil des fruchtbaren Halbmondes auszeichnete, fand in all diesen ausgedehnten Gebieten plötzlich ein Ende. … An allen bisher in Kleinasien untersuchten Stätten verursacht eine Lücke oder eine Periode ausgeprägter Armut einen Bruch in der stratigraphischen und chronologischen Abfolge der Schichten. … In den meisten Ländern fand eine bedeutende Verringerung der Bevölkerung statt, in anderen folgte auf die sesshafte Lebensweise das Nomadentum.“ [Erde im Aufruhr, S. 202]
Die Untersuchung Schaeffers umfasste u.a. folgende Ausgrabungsstätten: Troja, Bogazköi, Tarsus, Alisar. Überall bot sich das selbe Bild des Aussterbens mit dem Ende der mittleren Bronzezeit.
Während der Bronzezeit sind die Alpenpässe fleißig bereist worden: Viele Bronzegegenstände aus der Zeit vor -700 sind an zahlreichen Orten gefunden worden, besonders auf dem St. Bernhard. Auch Bergwerke wurden in der Bronzezeit plötzlich aufgegeben und die Pässe nicht mehr länger bereist, als ob das Leben in den Alpen ausgelöscht worden wäre, schreibt I. Velikovsky. [Erde im Aufruhr, S. 187] Laut seiner Aussage soll das Gebiet von Norwegen bis zum Schweizer Jura, den Alpen und Tirol in einer Zeit, die wahrscheinlich eher von der Mitte des 2. Jahrtausends vor Zeitrechnung bis – 800 oder -700 reicht, mindestens zwei Mal von verheerenden Umgestaltungen der Landschaft betroffen gewesen sein, Täler aufreißend, Seen umkippend, Tier- und Menschenleben vernichtend, plötzlich das Klima ändernd, Wälder durch Moore ersetzend […] [Erde im Aufruhr, S. 187] Allgemeine Völkerwanderungen waren die Folge, auch die der Kelten und der Zimbren. Wenn Velikovskys Schlussfolgerungen zutreffen, dann war das Chaos wahrhaft global, es muss die Überlebenden zutiefst verstört haben; die Lebensgrundlagen zerstört, gingen viele auf Wanderschaft, nur um in ähnlich zerstörte Gebiete zu gelangen.
Schaeffer hat seine Erkenntnisse folgendermaßen zusammengefasst:
„Unsere Untersuchung hat erbracht, daß die aufeinanderfolgenden Verwerfungen, welche die Epochen des 3. und 2. Jahrtausends einleiteten und beendeten, nicht durch Menschenhand herbeigeführt wurden. Im Gegenteil: Verglichen mit dem Ausmaß dieser allumfassenden Krisen und ihren tiefgreifenden Folgen wirken die Großtaten militärischer Eroberer und die Anschläge politischer Führer geradezu nichtig“.
Schaeffer begann Berichte von anderen Archäologen zu vergleichen und gelangte zu dem Resultat, dass die längste Luftliniendistanz zwischen zwei simultan zerstörten Städten – Troia und Tepe Hissar – 2300 Kilometer beträgt. Der Bronzezeitbefund sieht für Griechenland nicht anders aus, und selbst der Klimaforschung sind die naturgeschichtlichen Umwälzungen an Beginn und Ende des „Zeitalters des Opfers“ aufgefallen. Veränderungen in Temperatur und Meeresspiegelhöhe werden zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit, also genau an der kritischen Stelle der Opferkultentstehung konstatiert. [Nützel 1976] Mit der Stratigraphie jedoch ist es so eine Sache, wobei weniger die Archäologen und Ausgräber ins Kreuzfeuer der Kritik Heinsohns geraten, sondern vor allen Dingen die Altorientalisten, denn diesen oblag häufig die finale Interpretation und Datierung der in diversen Schichten vorgefundenen Objekte. Ohne nachfolgend noch weitere Belege für mehrere gewaltige Katastrophen in der „Bronzezeit“ aufzuführen oder auf die Streitgespräche der Altertumswissenschaftler einzugehen, begnügen wir uns mit dem Hinweis, dass Katastrophen globalen Ausmaßes nach der Bronzezeit nicht mehr überzeugend nachzuweisen sind (Heinsohn, Die Erschaffung der Götter, S. 65), dass solche aber unbedingt stattgefunden haben, in Zeiten als Menschen bereits in Städten und Siedlungen lebten.
Was nun die Ursachen globaler Katastrophen in der jüngsten Vergangenheit der Erdgeschichte betrifft, aber auch die Frage, wieso offenbar große Widerstände seitens der Wissenschaft existieren, diese anzuerkennen und entsprechend einzuordnen, so führt die Spur in eine Zeit Ende des 18./1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, als eine neue Doktrin geboren wurde, welche nur langsame geologische Abläufe zuließ, und die sich somit vom sogenannten Katastrophismus unterschied, und gleichzeitig jede Kunde über die sogenannte biblische Sintflut allmählich ins Reich der Sagen und Legenden verbannte.
5. Exkurs Physikotheologie - über Zerstörung und Rettungversuche der Bibelgeschichte durch Naturphilosophen und Fossilien
Der Geschichte, wie es zum Siegeszug der Theorie der uniformen geologischen Entwicklung des Charles Lyell (1797 - 1875) kam, dem das Katastrophenerbe der Menschheit zum Opfer fiel (kein Wortspiel angedacht), bin ich bereits in einem recht ausführlichen Artikel mit dem Titel „Wissenschaftliche Chimären (1) – Die Eiszeittheorie“9 nachgegangen. Eine interessante Entdeckung war, dass der berühmte Charles Darwin zweifellos von der Theorie des Charles Lyell beeindruckt wurde, als er sich für die Ausarbeitung seiner berühmten Theorie über die Entwicklung der Arten entschied. Wie es dazu kam, wird nun nochmals, aus einem etwas anderen Blickwinkel und mit erweiterten Informationen, Thema dieses Kapitels sein. Ziemlich unerwartet, auch für mich, erwartet Sie nun unter anderem eine nicht ganz ernst gemeinte Suche nach dem ersten Geologen. Der römische Historiker und Naturforscher Plinius (der Ältere) gelangt laut seiner folgenden Aussage allerdings eher nicht in die engere Auswahl. Er schrieb:
„Wir können mit Sicherheit angeben, dass er [der Bergkristall] in den Felsen der Alpen entsteht, oft an so unzugänglichen Orten, dass man ihn an einem Seil hängend herauszieht,“ so Plinius der Ältere (23-79 n.Chr.).
Das mag vielleicht so gewesen sein, mit Sicherheit aber lässt sich sagen, dass Plinius selbst nie an dem Seil hing. Dass niemand ernsthaft erwarten kann, den ersten namhaften Geologen aufzutreiben, liegt mitunter auch daran, dass sich der Begriff „Geologie“ erst ca. 1778 durchzusetzen begann. Siehe nachfolgendes Zitat:
Der Begriff "Geologie" wurde von VAN BEMMELEN [1969] bis zu dem "Philibiblon" [Köln, 1473] des Bischofs von Durham, Richard de BURY, zurückverfolgt. Dort diente er zur Abgrenzung gegen die "Theologie". Aber erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann sich mit J. A. de LUC [1778] und H. B. de SAUSSURE [1779] der Begriff "Geologie" auch international durchzusetzen. 1761 hatte Georg Christian FÜCHSEL10 die Bezeichnung "Geognosie" geprägt, die von Abraham Gottlieb WERNER [um 1780] aufgegriffen und als Ersatz/Synonym für die ältere "Gebirgskunde" verwendet wurde.11
Ein anderer Ausdruck für die Erforschung von Gesteinen und Fossilien, der kurzzeitig in Mode war, lautete „Geognosie“. Neben Metallen und Kohle waren seit alter Zeit zweifelsohne bestimmte Steine, Mineralien, Kristalle oder Bernstein, in den manchmal faszinierende Formen von Tieren und Pflanzen eingeschlossen waren, von Interesse für Laien wie Gebildete. Am Rand angemerkt sei, dass die Geschichte der Geologie eng mit Bergbau, Mineralogie und womöglich auch noch mit der Alchemie verbunden ist. Auf der Suche nach Kohle, Silber, Kupfer und anderen Metallen lernten die Bergmänner vieles über Schichten und Gesteinsadern bzw. Erzadern, aber auch über Kristalle und Edelsteine. Sollte man den ersten Geologen nun also bei denjenigen Gelehrten und Naturforschern der relativen Neuzeit (Renaissance) vermuten, die sich auch mit dem Bergbau befassten?
Georgius AGRICOLA (1494 - 1555): der im sächsischen Glauchau geborene Georg Bauer gilt als Begründer der modernen Montanwissenschaften, Verfasser der "De re metallica" ("Vom Bergwerk"). Er verstand unter "fossilis" Minerale, Gesteine, versteinerte Lebensreste und sogar Urnen und nahm den Begriff wörtlich als "das Ausgegrabene".12
Sowohl Agricola als auch Paracelsus, ein direkter Zeitgenosse, befassten sich u.a. mit Bergbauangelegenheiten und waren Alchemisten. Ebenso Goethe, der vielleicht nicht direkt ein Alchemist, aber doch okkult angehaucht war, war in Bergbausachen unterwegs. Und ein „Steinfreund“, wie die Notizen zu seiner „Italienreise“ beweisen.13 Oder sollten wir auf der Suche nach dem ersten Geologen nicht vielleicht noch weiter in die Vergangenheit zurückblicken? Fossilien faszinierten bereits den berühmten Aristoteles (ca. 384 - 322 v. u. Z.), der Fossilien als Beweis der Urzeugung von Lebewesen aus Erde und Schlamm ansah. Manche der organischen Gestalten erwachten seiner Ansicht nach nicht zu vollem Leben und bleiben im Erdreich verborgen. Diese Anschauung, dass die Fossilien im Gestein durch eine "vis plastica" geschaffen seien, hatte noch im 18. Jahrhundert Anhänger.
Andere Berichte über die Faszination, die z.B. Meteoritengestein auf die Menschen ausübte, reichen bis in die fernste Vergangenheit zurück und allein über die Verehrung und Anbetung von „Himmelssteinen“ ließe sich gewiss ein eigenes Kapitel füllen.
In den Alpen war die Suche nach Kristallen in Klüften einst eine beliebte Möglichkeit sich ein Zubrot zu verdienen. Kristallsucher wurden auch Strahler genannt, da die funkelnden, durchsichtigen Bergkristalle auch als „Strahlen“ bekannt waren.14 Nicht weiter erstaunlich ist, dass Sagen zufolge, z.B. aus der Steiermark und dem Salzburgerland, die Lage einer Erzader oft durch übernatürliche Wesen oder Kräfte, wie Berggeister, angezeigt wird. Überraschend hingegen ist, dass immer wieder auch Tiere in der Gründungssaga von Bergwerken eine Rolle spielen.
Meist sind es Pferde, Ochsen, Ziegen oder Jagdwild die mehr oder weniger zufällig eine Erzader anzeigen. Laut Sage wurde das Erz von Schwaz in Tirol durch eine wilden Stier entdeckt, der mit seinen Hörnern das Erdreich aufwühlte und die Erzader so bloßlegte. Die selbe Sage erzählt man sich über die Entdeckung des Kupfers bei Prettau. In Brixlegg (ebenfalls in Tirol) wird eine Grube „Geyer“ genannt, da laut Überlieferung einst ein Jäger in einem Geiernest lauter Erzbrocken fand und so das Erzaufkommen erst bekannt wurde.
In einer Variante dieser Sage wirft ein Hirte einer störrischen Kuh einen Stein hinterher. Ein Berggeist, der zufällig vorbeikommt ruft daraufhin aus „Halt Bua! Da Stoan gilt mehr als d´Kuah!!“ Es stellt sich heraus das der Stein aus Erz oder Gold besteht. Selbst Paracelsus, der sich als Mediziner und Alchemist für Metallurgie und Bergbau interessierte, erwähnt diese Sage in einem Schreiben um 1603.15
In der Renaissance begegnet uns der berühmte Universalgelehrte Leonardo da VINCI (1452 – 1519), der sich Gedanken über die Bedeutung von Fossilien für die Erdgeschichte machte. Er schrieb: "Viel älter sind die Gegenstände als die Berichte über sie. Daher ist es nicht wunderbar, daß in unseren Tagen kein Schriftstück Kunde von den Meeren gibt, die so viele Länder überflutet hatten. ... Uns aber genügt das Zeugnis der im Meerwasser geborenen Lebewesen, die wir auf den hohen Bergen, so weit entfernt von den früheren Meeren, finden."
Der Reformation stand ins Haus, ihr Beginn wird allgemein auf das Jahr 1517 festgelegt. Die nördlichen Länder, die sich im Zuge der Reformation von Rom lossagten, waren nicht nur den entstehenden Naturwissenschaften gegenüber etwas freier oder fortschrittlicher, sondern auch in Bezug auf das Rosenkreuzertum und (später) Freimaurerei-Gesellschaften. Die wichtige große Loge zu London wurde 1721 gegründet, eine Zeit übrigens, als in Marseille die Große Pest immer noch nicht ganz besiegt war, und von einer Pockenepidemie in Paris gesprochen wird, und als gerade die ersten „wissenschaftlichen“ Impfexperimente in England durchgeführt wurden, Thema eines späteren Kapitels. Gerade dieser Streit um die Positionierung der Kirche in Sachen Pockenimpfung offenbarte eine weitere Schwachstelle im kirchlichen Moralpanzer. Zu dieser Zeit begann sich ein Riss zu offenbaren, der die Kirche erneut zu spalten drohte. Doch davon später mehr.
Es ist vielleicht nicht übertrieben zu sagen, dass die Macht der Kirche in den katholischen Ländern bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch fröhliche Urständ´ feierte. Auf der anderen Seite war den Lutheranern und Calvinisten ja nicht die katholische Kirche oder die Bibel an sich ein Dorn im Auge, sondern hauptsächlich Dinge wie Prasserei, Willkür oder eben die von Luther bemängelte Ablasspraxis. Dass die Bibel den Inbegriff einer Heiligen Schrift darstellt, wurde von keiner der Parteien bestritten, selbst wenn über einige der biblischen Passagen Uneinigkeit herrschen mochte. Selbiges gilt auch für die Anglikanische Kirche Englands, die zwar, nach einigem Hin und Her in der Mitte des 16. Jahrhunderts der Kirche in Rom mitsamt Supremat des Papstes endgültig den Rücken zukehrt, die römisch-katholische Form des Gottesdienstes und die Organisation der Kirche jedoch nach wie vor in großen Zügen beibehält. Insofern ist die folgende Aussage auch ganz allgemein, und auf sämtliche christlichen Konfessionen jener Zeit bezogen, zu verstehen:
Die christlichen Theologen hatten seit dem 13. Jahrhundert schon so manchen Angriff abgefedert, wie in späteren Kapiteln besprochen werden wird, insbesondere hatten sie gelernt, sich mit der aristotelischen Logik zu arrangieren. Wo dies nicht gelingen wollte, wurden bekanntlich drastische Maßnahmen angewandt. Dennoch schwand das Vertrauen in Bibel und Kirche ab dem 17. Jahrhundert in gleichem Maße wie die „Aufklärung“ genannte Epoche voranschritt.
Der erste neuzeitliche Angriff auf die christlich-theologische Glaubenswelt galt den himmlischen Sphären, genauer gesagt der Vorstellung von der Himmelsmechanik. Der zweite Angriff betraf die Überlegungen zur Entstehung der Welt. Ausgeführt wurden die (in der Regel ungewollten) Angriffe von Naturforschern, Mathematikern und Philosophen.
Zum Glück jedoch (für die Kirchenoberen und den ungestörten Glauben der Schäflein) musste sich die Kirche mit den meisten naturwissenschaftlichen Fragen ebenso wenig beschäftigen wie mit irgendwelchen Theorien. Wenn es so war, wie es war, dann war es eben so, weil Gott es so gewollt und geschaffen hat. Mit der einen oder anderen Frage und Theorie, die von den Naturforschern und Gelehrten aufgeworfen wurde, mussten sich die Theologen ab Ende des 16. Jahrhunderts aus einer Reihe von Gründen, mit denen wir uns gleich beschäftigen werden, dann aber doch befassen, weil hier quasi das WORT Gottes unmittelbar angegriffen wurde.
Wichtig waren z.B. die Fragen: Wann wurde die Erde erschaffen (was die längste Zeit praktisch kein Thema war für die Gelehrten) und - zu welcher Zeit wandelte der biblische Abraham von Ur nach Ägypten, Thema eines vorherigen Kapitels.
Bekanntlich schätzte die kirchliche Inquisition die Schriften des Nikolaus Kopernikus (1473- 1543), des Giordano Bruno ( 1548 – 1600) und von Galileo Galilei (1564 – 1642) als häretisch ein. Als Bruno einige seiner Aussagen nicht widerrufen wollte, wurde er gar mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bestraft. Seltsamerweise aber wurde Kopernikus` revolutionäres Werk, das er vorsichtshalber erst in seinem letzten Lebensjahr 1543 über einen Vertrauten veröffentlichen ließ, erst 1617 auf den Index der Inquisition gesetzt. Wie kam es dazu, dass die Inquisition mehr als 60 Jahre Bedenkzeit benötigte, bevor sie das revolutionäre Buch verbieten ließ?
Zum einen widmete Kopernikus sein Werk Papst Paul III., dem er auch vorausschauend schrieb:
„Wenn es auch leere Schwätzer geben wird, die, obwohl sie jeglicher Mathematik unkundig sind, sich dennoch ein Urteil über diese anmaßen, wegen irgendeiner, zu ihrem Zweck übel verdrehten Stelle der Heiligen Schrift wagen sollten, dieses mein Vorhaben zu tadeln und zu verunglimpfen, so mache ich mir nichts aus ihnen, sondern werde vielmehr ihr Urteil als schändlich verachten …“
Einer der schärfsten Kritiker des Kopernikus war nicht von ungefähr Martin Luther (1483 - 1546), denn der wusste, dass sich die Erde nicht um die Sonne bewegen konnte, schließlich hieß es in der Heiligen Schrift: Joshua ließ die Sonne stillstehen und nicht die Erde! Nach Josua 10,12-13 ließ Gott die Sonne für einen Tag anhalten, damit die Israeliten die Amoriter bei Tageslicht abschlachten konnten, woraus Luther schloss, dass sich die Sonne davor bewegt haben müsse und sich also noch bewege.
Kopernikus gelang es, dem Unmut der katholischen Kirche zu entgehen, weil er erstens leiblich nicht mehr zur Verfügung stand (was allerdings nicht immer eine Garantie dafür war, nicht exkommuniziert zu werden), und zweitens sein Werk in schwierige mathematische Formeln gehüllt hatte, die vom Laien kaum verstanden wurden, und weil das von seinem Mitarbeiter verfasste Vorwort, die Aussagen von Kopernikus abschwächte. Es wurde darin behauptet, bei der Abhandlung handle es sich lediglich um eine Theorie, nichts weiter als Hypothesen seien es. Aus diesem Grund entging die Arbeit zunächst der strengen Aufsicht durch die Inquisition. Bei der Gregorianischen Kalenderreform von 1582 wurden die Schriften des Kopernikus sogar zu Hilfe genommen, um dem Problem des verschobenen Kalenders und der wichtigen kirchlichen Eckpunkte zu Leibe zu rücken. Erst als Galilei glaubte, durch Beobachtungen der Planeten beweisen zu können, dass es sich beim kopernikanischen Weltbild um mehr handele als eine Hypothese, eröffnete die Inquisition ein Verfahren, das mit dem Verbot der „Revolutionibus“ endete. Das Verbot war freilich relativ: unter Hinzufügung von zwölf Änderungen, die den hypothetischen Charakter des Werks betonten, konnte es weiterhin vertrieben und gelesen werden.16
Was war im Fall des Giordano Bruno (1548 – 1600), italienischer Philosoph anders als im Fall Kopernikus? Bruno starb übrigens nicht wirklich auf dem Scheiterhaufen der Inquisition, weil er die Schriften des Kopernikus verteidigte, wie allgemein angenommen wird, sondern wegen seiner Überzeugung, dass die Sterne für unzählige Welten standen. Die Vorstellung, dass es außer der Erde unzählige andere Welten gäbe, die vielleicht von Lebewesen und Menschen bevölkert werden, war zu jener Zeit zu viel für die Inquisitoren. Erst nach dem 30-jährigen Krieg Ende des 17. Jahrhunderts wurden die Planeten zum Objekt der Spekulation von Philosophen und Theologen. 150 Jahre nach dem Tod von Giordano Bruno stellte Charles Bonnet (1720 – 1793) die These auf, die Seele wandere im Laufe ihrer Entwicklung von Planet zu Planet. In der Dissertationsarbeit von Gambini wird dazu folgendes konstatiert:
[Die Planeten] waren nämlich für Bonnet ebenfalls von Wesen mit ihren eigenen „Economie particuliere, […] Lois, [et] Productions“ belebt [219] – eine weitverbreitete Vorstellung, die mit Bonnets Lieblingsautor Bernard Le Bouvier de Fontenelle (1657–1757) und seinen Entretiens sur la pluralité des mondes (1685)[220] angesetzt hatte und im 18. Jahrhundert zu Theorien der ‚Planetenwanderung‘ ausgebaut wurde. [221]17
In der Verhandlung der Inquisition gegen Giordano Bruno lautete die Begründung der Theologen, warum es keine unzähligen Welten geben könnten, sinngemäß wie folgt: Weil es nur einen Christus gäbe und nicht etwa zwei, könne es auch keine anderen Welten geben.18 Ironischerweise bezog Bruno seine Überzeugung aus seinem religiösen Glauben an Gottes Allmächtigkeit: Kraft Gottes unbegrenzter Macht könne ER selbstverständlich auch unendliche Welten erschaffen haben, soll er sinngemäß gesagt haben.
Andererseits verwiesen die berechenbaren und mittels Teleskopen immer besser beobachtbaren Planetenbahnen definitiv auf Planetenkörper hin und nicht auf kleine Lichtlein am Himmel, die weiß ich was sein konnten. Die Vorstellung von unendlich vielen Welten und Himmelskörpern sprengte offenbar den engen Rahmen den das kirchliche Dogma zuließ. Die Theologen, welche 9 Jahre lang über Giordano Brunos Fehlaussagen verhandelten, weigerten sich angeblich kategorisch, durch Brunos Fernrohr zu spähen und sich selbst von der Körperhaftigkeit der Planeten zu überzeugen.
Galileo Galilei (1564 – 1642) wiederum war ein weiterer Universalgelehrter jener Zeit und 36 Jahre alt, als Giordano Bruno bei lebendigem Leib auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, weil er gewisse ketzerische Ansichten nicht widerrufen wollte. Als erster Mensch erspähte Galilei durch seine verbesserten Gläser die vier größten Monde des Jupiter. Er beobachtete, dass diese Monde um den Jupiter kreisten, weshalb er das Kopernikanische Weltbild ebenfalls unterstützte. Die Planeten inklusive der Erde kreisten also auch nach seiner Überzeugung um die Sonne und nicht um die Erde, wie (abgesehen von ein oder zwei Ausnahmen unter griechischen Philosophen) eigentlich schon immer als selbstverständlich angenommen worden war; gemeint ist der Geozentrismus. Mit Androhung von Gewalt, Folter und Tod auf dem Scheiterhaufen wurde Galilei im Juni 1633 von der römischen Inquisition angeklagt sowie genötigt, den Ergebnissen seiner Arbeit abzuschwören und für Unwahr zu erklären. Schlussendlich gab er nach, und widerrief seine zuvor veröffentlichen Forschungsergebnisse.19 Da Galilei über handfeste Beweise verfügte, konnte er nicht wirklich behaupten, nur eine „Theorie“ ausgearbeitet zu haben, wie es dem Kopernikus offensichtlich noch zu Gute gehalten wurde.
Mit seiner Arbeit über die Bewegung (de motu, ca. 1592), lieferte Galilei nicht nur René Descartes (1596 - 1650) sondern auch Isaac Newton (1643 – 1727) und etlichen anderen Naturphilosophen einen Hebel, mit dem schließlich die starren Überzeugungen der christlichen Theologen aus den Angeln gehoben werden sollten. Galilei beobachtete mittels seiner geschliffenen Gläser nicht nur den Himmel genauer als seine Vorgänger, sondern wir verdanken ihm auch die Fallgesetze, und andere Grundsätze der Mechanik. Galilei formulierte den Satz: „Jeder Körper verharrt in Abwesenheit von Reibungen und sonstigen Hemmnissen ohne Aufhören in der ihm einmal erteilten Bewegung. Experimentell konnte Galilei immerhin beweisen, dass die Bewegung um so länger fortgesetzt wird, je vollständiger man die Hemmnisse aus dem Weg räumt.“20
Insbesondere in England beobachten wir nun die Entstehung einer neuen Art von Naturphilosophie, die verwoben ist mit einer Art aufgeklärter Theologie. Das Ganze wurde „new theology“ genannt, und wird definiert als eine philologische und historische Neubeschäftigung mit den Heiligen Schriften, der Patristik und den Zeugnissen des Prä-Nicänischen Christentums.21 Als Erklärung für diese Tendenz wird angeführt, Ziel der „new theology“ sei „eine apologetische Verteidigung des anglikanischen Protestantismus und die Formulierung einer anglikanischen Orthodoxie im Zeitalter der Reformation“, während ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass sich einige der gebildeten Theologen sogar mit Begeisterung in die Aufgabe stürzten, die neuen Erkenntnisse diverser „Naturphilosophen“, diese Bausteinen gleich hin und her schiebend, zu neuen (christlichen) Kosmogonien zu verweben - die allesamt die Bibel als den einen, unverrückbaren Grundstein verwendeten. Diese „neue Theologie“ scheint in England und hier insbesondere in Cambridge ihren Ausgang zu nehmen.
Wichtige geistliche Vordenker der „new theology“ stammten wohl aus der Ecke der Neo-Platoniker, von denen einige gegen Mitte des 17. Jahrhunderts auf die Idee kamen, das Seele-Körper-Problem möglichst rational zu erklären. Unter diesen neuen Theologen und christlichen Philosophen wird insbesondere der Name Henry More (1614 – 1687) immer wieder erwähnt. In einem Artikel der Uni Stanford werden More und sein „rationaler Ansatz“ wie folgt charakterisiert:
More ist als rationalistischer Theologe bekannt, der versuchte, die Details der mechanischen Philosophie, wie sie von René Descartes, Robert Boyle und anderen entwickelt wurde, zu nutzen, um die Existenz einer immateriellen Substanz oder eines Geistes und damit die Existenz Gottes nachzuweisen. Insbesondere ist er dafür bekannt, dass er das Konzept eines Naturgeistes entwickelte, eines Mittlers zwischen Gott und der Welt, der angeblich benötigt wurde, um jene physikalischen Phänomene zu erklären, die durch die mechanische Philosophie nicht erklärt werden konnten, und ein Konzept eines unendlichen absoluten Raumes, der ebenfalls die immaterielle Realität darstellen sollte und sogar einige der Attribute Gottes teilen sollte.22
More geht es zwar mehr um die Seele, denn erstaunlicherweise gab hinsichtlich einiger Details zur Seele trotz jahrtausendelangem Bestehen der Kirche immer noch ein paar Unklarheiten. Z.B. ob die Seele jedem Menschen neu gegeben wird, oder ob es so eine Art Weltseele gibt, zu der die Seelen zurückkehren, oder ob die Seele im Grab ruht bis zur Auferstehung? Fragen über Fragen, denen nun mit einem rationalen Ansatz zu Leibe gerückt werden sollte. Die Naturphilosophie und ihre Vertreter hatten zwar in der Regel nichts anderes im Sinn als das strahlende Werk Gottes zu beschreiben, doch strahlte das naturphilosophische Denken in alle Richtungen aus und regte zu vielerlei Verknüpfungen von Neuem mit Altem an. Gambini erklärt folgendes zur Gemengelage:
Obwohl das Ziel der ‚new theology‘ eine apologetische Verteidigung des anglikanischen Protestantismus und die Formulierung einer anglikanischen Orthodoxie im Zeitalter der Reformation war, hatte sie ein ungewolltes Entfachen ‚heterodoxer‘ und ‚synkretistischer‘ Glaubensinhalte zur Folge. Vor allem anti-trinitarische bzw. arianische Strömungen kamen in Cambridge im Zuge der Beschäftigung mit prä-Nicänischen Quellen auf, deren bekannteste Anhänger Newton selbst und Whiston waren [...].23
Schon wieder der Newton, der alte Alchemist!, möchte man ausrufen. Bemerkenswert ist, dass die ab Ende des 17. Jahrhunderts immer zahlreicher werdenden physikotheologischen Theorien der Erde einen Strang der Entstehung der Erdwissenschaften bildeten. Der andere Strang stellte die von der Royal Society betriebene Altertumsforschung, die erstmals auch Fossilien, Vulkane und Erdstratifikationen als historische Quellen betrachtete.24 Nachfolgend wollen wir uns nun eine (sehr kleine und gewiss unvollständige) Auswahl von Naturforschern, Philosophen und Theologen ansehen, die mit wachsender Frequenz nicht nur neue Theorien in naturwissenschaftlichen Gebieten aufstellten, sondern gleich auch noch neue Kosmogonien erschufen, und wir werden im Anschluss wenigstens erahnen können, wie diese Entwicklung im Zeitalter der Aufklärung an Fahrt gewann.
Im Jahr 1634 entschied René Descartes sich gegen die Veröffentlichung seiner physikalischen Abhandlung "Le monde", nachdem er zuvor das Leben und Wirken Galileo Galileis intensiv studiert hatte. Da im Jahr 1633 der Prozess gegen Galilei mit dessen Verurteilung aufgrund seiner geistigen Überzeugungen geendet hatte, war ihm die Publikation von "Le monde" zu riskant. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Formulierung seines philosophischen Gedankengebäudes, das er in den nächsten Jahren weiterentwickelte.25 1644 veröffentlichte Descartes sein einflussreiches Werk „Principia Philosophiae“. Mit seiner Philosophie, einer Vortex-Theorie26 (Descartes versuchte mittels einer Wirbeltheorie die Schwerkraft zu erklären) und den von ihm weiter ausformulierten Bewegungsgesetzen eröffnete Descartes einen Ansatz zur Erklärung der Himmelsmechanik, ohne mit seiner Erklärung allzu viel Unwillen bei den kirchlichen Autoritäten zu erregen. Jedenfalls hoffte er das. Doch konnte Descartes mit seiner Wirbeltheorie, z.B. nach Ansicht Isaac Newtons und anderer, Kometen nicht erklären, was Newton veranlasst haben soll, seine eigene Theorie der Gravitation zu ersinnen. Dass Kometen die Sphären, bzw. die Bahnen der Planeten durchdringen, bzw. kreuzen, war seit Tycho Brahe (1546 – 1601) und dem Kometen von 1577 vorherrschende Meinung und es war dank Brahe auch klar, dass Kometen nicht etwa im erdnahen Bereich entstehen. Weder Descartes noch Newton waren allerdings die ersten, die sich Gedanken über eine Gravitationskraft machten. Bereits 1636 entwickelte Gilles Personne de Roberval die Idee einer Gravitationskraft, und auch Robert Hooke (s.u.) lieferte sich minimum ein Kopf an Kopf Rennen mit Isaac Newton um das erste ausgereifte mathematische Konzept der Schwerkraft.
Descartes dürften die Schriften von Johannes Kepler (1571 - 1631) nicht unbekannt gewesen sein, denn Kepler verfasste zahlreiche Bücher über die Bewegungen der Himmelskörper und den Aufbau des Weltalls sowie über Optik. Interessant ist nun, dass Johannes Kepler offenbar ausgesprochen religiös war, und den Anfang der Welt sogar höchstselbst berechnete: es war das Jahr 3992 oder 399327 vor Christus. Gelobt sei`s der Herr. Womit deutlich wird, dass hochgebildete, ja geniale Naturforscher und Universalgelehrte noch in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts keine Zweifel an der weniger als 6.000 Jahre alten Geschichte der Welt hatten. Kepler indes wurde 1612 exkommuniziert, und hatte es nicht leicht in seinem Leben.
Festzuhalten bleibt zunächst dass mindestens bis weit ins 17. Jahrhundert kaum Zweifel geäußert wurden, weder was den ungefähren Zeitpunkt der Erschaffung der Welt betrifft, noch dass eine Sintflut stattgefunden habe. Schließlich stand es in der Bibel. Der schreckliche 30-jährige Krieg (1618 - 1648), in dem es um „den wahren Glauben“, Herrschaftsbereiche und Dynastien ging, und mit dessen Auswirkungen sowohl Galilei als auch Descartes konfrontiert wurden, wird Thema eines anderen Kapitels sein, in dem auch von den Rosenkreuzern die Rede sein wird, die eine nicht geringe Rolle als Wegbereiter des Zeitalters der Aufklärung gespielt haben.
Unterdessen näherte sich von einer anderen Seite Gefahr für den buchstabengetreuen Glauben der Christenheit. Sie drohte in Gestalt von Menschen, die modern recht harmlos daherkommen, mit stabilem Schuhwerk ausgestattet sind, einen Rucksack auf dem Rücken und mit einem Hämmerchen bewaffnet, die in der Regel in den Bergen anzutreffen sind, und dort auf der Suche nach Kristallen oder Fossilien sind. Manchmal finden sie in den Bergen und Hügeln fernab des Meeres Muscheln oder Abdrücke von Seelebewesen. Der Verfasser des sehr ermüdenden Vorwortes der Protogaea, eine erst 1749 herausgegebene Abhandlung von Gottfried Wilhelm Leibniz mit dem Untertitel: „Abhandlung von der Ersten Gestalt der Erde und den Spuren der Historie in den Denkmaalen der Natur“, nennt die vielen ausgezeichneten Gelehrten und Laien, die sich mit Steinen befassen, liebevoll „Steinfreunde“:
„[...] ; so ist dieses ein besonderes Lob für Teutschland, daß fast keine Provinz derselben mehr ist, in welcher sich nicht gelehrte Steinfreunde finden sollten, die alle, was sie von Steinen auf der Fläche des Erdbodens, in den tiefsten Gängen und Höhlen der Felsen und in dem innersten Schoos der Erde finden, mit ihren Anmerkungen erhellen und der gelehrten Welt durch nützliche Bemühungen mitteilen“.
Dass diese unscheinbare und harmlose Beschäftigung mit Steinen einmal zu einem Problem für die biblische Schöpfungsgeschichte werden könnten, hätte Mitte des 17. Jahrhunderts wohl niemand zu denken gewagt.
Von der Antike an bis zu einer Zeit Mitte des 18. Jahrhunderts bestand für die meisten gebildeten Europäer definitiv kaum Anlass dazu, am Tatbestand einer biblischen Sintflut zu zweifeln. Aufgrund der verschiedensten Fragen bzw. Theorien von Naturforschern und Philosophen schwand jedoch der Glaube an eine buchstabengetreue Auslegung des biblischen Textes und machte nach und nach einer flexibleren Haltung in Sachen Kirchendoktrin Platz.
Was aber hatte es eigentlich mit Fossilien auf sich, die schon seit dem Altertum das Interesse von Naturforschern auf sich gezogen hatten? Mitten auf dem Land und auf den Bergen wurden Muscheln gefunden, wie bereits Xenophanes (570 – ca. 475/470 v. Chr.) berichtet:
„ … in den Steinbrüchen von Syrakus seien der Abdruck eines Fisches und von Robben, auf Paros der Abdruck eines Lorbeerblattes mitten im Stein, auf Malta flache Formen aller Meerestiere und -pflanzen“.
Für Xenophanes bestand kein Zweifel daran, „dass alle Menschen vernichtet würden, wenn immer die Erde, abgesunken zum Meer, zum Schlamm wird; darauf begänne das Entstehen abermals; und das sei der Beginn für alle Weltordnung“. Für antike Autoren war der katastrophische Übergang von der Steinzeit zur Bronze-Zeit demnach noch vollkommen unstrittig. Plato berichtet „über eine gewaltige Überschwemmung, die dritte vor der Deukalionischen Verheerung“ [Kritias, 112a], weist also der Bronzezeit insgesamt vier große Katastrophen zu. Gleichzeitig ist die Sage von Deukalion eine der bekanntesten „Sintflutmythen“ aus dem griechisch-römischen Kulturkreis.
In der Fassung bei Ovid (met. 1,163-6 u.a., Caduff, 16) ist es Jupiter, der in Wut gerät, und das sterbliche Geschlecht im Wasser zu ertränken droht. Deukalion und seine Frau Pyrra retten sich auf einem Floß am Berg Parnass, weil sonst alles Land vom Wasser überflutet war. Angesichts der Vernichtung der Menschen hat Jupiter dann ein Einsehen und beendet die Flut. Und nachdem Deukalion und Pyrra zur himmlischen Göttin gefleht haben, werden sie erhört. Beide werfen Steine hinter sich und durch die Macht der Götter entstehen daraus Männer und Frauen, ein neues und starkes Menschengeschlecht.28
Mit einer deukalischen Überschwemmung oder anderen Flutberichten hatten die christlichen Theologen an und für sich natürlich kein Problem. Die wiederentdeckten Texte der Griechen, die Legenden der Ureinwohner Amerikas und auch die chinesischen Annalen, die Jesuitenpater während ihrer Missionstätigkeit dort übersetzt hatten, schienen [...] die biblische Sintfluterzählung auf willkommene Weise zu bestätigen.29 Nach Thomas Naumann in einem Vortrag über „Das Rätsel der Sintflut“ reagierten die Gelehrten der alten Kirche
„auf diese Konkurrenz zur biblischen Überlieferung dergestalt, dass sie die antiken Sintflutmythen einerseits als Bestätigung der biblisch beschriebenen Ereignisse ansahen, andererseits aber auch davon ausgehen konnten, dass es nach der biblischen Sintflut, die an den Beginn der Welt datiert wurde, noch weitere Sintfluten gegeben habe, die in der Bibel nicht mehr aufgeführt wurden. Man konnte also die Deukalionflut in eine spätere Geschichtsphase einordnen und gelangte zu einer Theorie der Frühgeschichte, in der es mehrere Sintfluten und Neubegründungen des Menschengeschlechts gegeben habe.“
Die Gelehrten der alten Kirche waren in der antik-klassischen Tradition ebenso bewandert [...] wie in der biblischen, weshalb man den Gelehrten im Altertum oder im Mittelalter gewisslich nicht unterstellen sollte, sie seien dumm oder unterbelichtet gewesen. Die (oder eine) Sintflut erklärte vorzüglich, wie Muscheln auf Bergeshöhen getragen werden konnten. Und wenn mitsamt den Fluten gleichzeitig ungeheure Mengen Schlamm transportiert wurden, dann ist der gedankliche Schritt der Formung der Erdoberfläche nach einer Sintflut nicht allzu groß, und es wird damit ja auch erklärt, warum sich Muscheln auf Bergen finden lassen. Diese Anschauung gab es seit der Antike. Sie wird als Diluvialtheorie bezeichnet und kann, wie im weiteren dargelegt wird, bis in das frühe 19. Jahrhundert als wissenschaftlicher Standard gelten.
Eine Erklärung von Fossilien, die tief im Inneren von Steinen eingebettet waren oder in Bergwerksstollen aufgefunden wurden, fiel den christlichen Theologen und Naturforschern dann offenbar aber doch schwer. Lange wurden Fossilien als mineralische Ausbildungen von Steinen gesehen. Mit dem Begriff lusus naturae, in etwa „Spiel oder Laune der Natur“, gelang es Theologen und kirchlichen Autoritäten, wahrscheinlich Jahrhunderte lang, Seltsames und Unverstandenes in der Natur als eine Art Ausnahme von der Regel hinweg zu erklären. Als lusus naturae galten also Fabeltiere wie etwa Einhörner oder Drachen, aber auch tatsächlich existente, missgebildete Lebewesen wie Kälber mit fünf Beinen oder zwei Köpfen. Bei den Gegenständen zählten etwa auffallend geformte Mineralien oder Pflanzenteile zu den Lusus naturae. Häufig schienen diese eine ganz andere Form nachzuahmen, wie etwa Eisblumen oder menschliche Umrisse in Felsformen. [...] Im Verlauf des 17. Jahrhunderts musste die Vorstellung des Lusus naturae den Anfängen der modernen Naturwissenschaft und deren neuer Ordnung (Taxonomie) weichen.30
Äußerst kritisch gegenüber der „theologisierenden Wissenschaft“ schrieb K.A. Zittel 1875:
"Kaum hatte man sich von der Idee der Naturspiele losgemacht, so verfiel jetzt die theologisierende Wissenschaft auf die nicht minder verkehrte Sintfluttheorie. Konnte man den organischen Ursprung der Versteinerungen nicht mehr leugnen, so sollten sie wenigstens zur größeren Ehre der Kirche verwertet und mit der mosaischen Schöpfungsgeschichte in Einklang gebracht werden. Es galt für verdienstlich und war vorteilhaft, diesen Standpunkt zu teilen, und es brachte Verfolgung und Gefahr, ihn zu bekämpfen."
Doch geht aus diesem Kommentar vor allen Dingen eines hervor: Die Idee einer Sintflut war im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht mehr zeitgemäß. Das war im 17. und 18. Jahrhundert eindeutig anders und wird selbst von Alexander von Humboldt noch moderater behandelt, s.u.
Als „Vater der Geologie“ wird der dänische Mediziner, Anatom und Naturforscher Nicolaus Steno alias Niels Stensen (1638 – 1686 oder 1687)) von Wilhelm von Humboldt bezeichnet. Ausgerechnet auf den zum Katholizismus übergetretenen Steno geht die Einsicht über die biologische Herkunft der Fossilien zurück, d.h., Fossilien waren Überreste von Lebewesen und keine Laune der Natur. Mit seiner 1667 erschienenen Schrift Canis carchariae dissectum caput belegte er, dass es sich bei den sogenannten „Zungensteinen“ in Wirklichkeit um fossile Haizähne handelt. Er schloss aus dem Vorkommen von "Glossopetren" genannten Haifischzähnen auf die Existenz sehr großer, früherer Haie.
Noch Edward Lhwyd (1660 - 1709), der walisische Naturforscher, kam zu der Schlussfolgerung, bei Fossilien handle es sich um mineralische Produkte nicht um organische.31 Er konnte sich keine Erklärung dafür ausdenken, wie Lebewesen in einem Stein enden könnten. Doch auch hierfür hatte Steno einen Erklärungsansatz. Er machte sich nämlich Gedanken über Gesteinsschichten und gelangte zu einer Theorie, die bis heute in Ansätzen vertreten wird.
In seinem bedeutendsten Werk De solido intra solidum naturaliter contento dissertationis prodromus (Vorläufer einer Abhandlung über Festes, das in der Natur in Festem eingeschlossen ist) entwickelte er als erster eine auf wissenschaftlicher Grundlage stehende Theorie zur Entstehung von Sedimentgesteinen. Nach Steno bildeten sich die Gesteine als horizontal gelagerte Schichten aus im Wasser abgelagertem Material. Die Schichten lagern sich übereinander ab (Superpositionsprinzip). Steno erkannte damit, dass das Alter einer Sedimentschicht nach oben hin abnimmt, da sich stets jüngere Schichten auf älteren ablagern. Die Existenz von Sedimentgesteinen mit bis zu senkrecht verlaufender Schichtung und großen Verwerfungen erklärte Steno korrekt durch Deformationen, die nach der Bildung des Gesteins stattgefunden haben mussten.32
Steno erkannte in der Toskana das „Grundgesetz der geologischen Lagerungsfolge“, demzufolge aus dem räumlichen Übereinander der geologischen Schichten auf ein zeitliches Nacheinander ihrer Bildung geschlossen werden kann und legte damit die Grundlagen der Stratigraphie (1669). Mit diesem Grundprinzip sägte er aber zugleich am christlichen Glaubensfundament, die Welt sei vor gerade einmal 5000-6000 Jahren erschaffen worden. Denn für wortgläubige Theologen ergab sich nun das gedankliche Problem: Wenn Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hatte, wieso sollte ER sich dann mit der Erschaffung von „Schichten“ abgeben? Zunächst einmal war allerdings überhaupt nicht klar, wie lange die Bildung so einer Gesteinsschicht wohl dauern könnte. Denn: So fortschrittlich Steno auch war, an Usshers (1581 – 1656) Zeitleiste seit Erschaffung der Welt (4004 v. Chr.) scheint er nichts auszusetzen zu haben.33
Das Vorhandensein von mehreren unterschiedlichen Gesteinsschichten führt aber geradezu zwangsläufig zur Überlegung, dass zwecks Bildung der verschiedenen Schichten eine gewissen Zeitspanne verstreichen müsste. Härtere Gesteinsschichten sind, das versteht sich fast von selbst, sogar noch älter als die weicheren „Sedimentgesteine“. Als lusus naturae und Tageswerk Gottes ließen sich diese Schichten nur den aller schlichtesten Gemütern erklären.
Robert Hooke (1635 – 1703) spekulierte etwa zur selben Zeit wie Steno, ob man aus dem Fossilinhalt der Gesteine nicht den historischen Ablauf der Gesteinsbildung rekonstruieren könne. Es wird angenommen, dass seine stratigraphischen Überlegungen Einfluss auf Nicolaus Steno und James Hutton hatten, die beide übrigens auch mal als „Vater der Geologie“ bezeichnet wurden. Anders als Steno wurde Hooke jedoch klar, dass die Erde älter sein muss als die von James Ussher veranschlagte Zeitspanne, und dass die Dauer der Sintflut (40 Tage) viel zu kurz war, um die geologische Gestalt der Erde zu erklären. Von Millionen oder gar Milliarden Jahren ist aber auch bei Hooke nicht die Rede.
Anders als für fast alle seine Zeitgenossen waren für Hooke Fossilien keine Laune der Natur, sondern versteinerte Lebewesen. Schon als Kind hatte Hooke sich für die im Kalkstein der Isle of Wight eingeschlossenen Fossilien interessiert. Dank seines wissenschaftlichen Interesses führte ihn sein weiterer Weg unweigerlich zur Royal Society. 1655 war Hooke beim angesehenen Chemiker, Naturforscher und Alchemisten Robert Boyle angestellt und fünf Jahre später bestimmte er sein Gesetz der Elastizität, das sicherlich in den späteren Überlegungen von Forschern zur Form der Erde eine Rolle gespielt haben dürfte. Hooke war es auch, der 1666 den Vorschlag machte, die Gravitation mittels eines Pendels zu bestimmen, eine Methode, die im 18. Jahrhundert tatsächlich systematisch angewandt wurde. Robert Hooke erklärte um 1670 die Wirkung der Gravitation (sich dabei an Descartes orientierend) mit „Gravitationstrichtern“ und schrieb, dass die Gravitation eine Eigenschaft aller massebehafteter Körper sei und umso größer, je näher sich zueinander befänden. Damit nicht genug versuchte Hooke auch zu zeigen, dass Erde und Mond sich in einer Ellipse um die Sonne herum bewegen, wobei er sich von den 1618 bzw. 1621 von Johannes Kepler (1571 – 1630) im ersten Lehrbuch des heliozentrischen Weltbildes „Epitome Astronomiae Copernicae)34 postulierten drei Lehrsätzen (heute „Keplersche Gesetze genannt) inspirieren ließ. Obwohl Kepler den Venustransit vor der Sonne für das Jahr 1631 korrekt voraussagte, was bisher noch niemandem gelungen war, konnte Johannes Kepler die Fragen, welche Kraft die Planeten und Monde kreisen ließ und warum sie sich gerade in Ellipsen bewegen, nicht beantworten. Da Kepler bereits 1630 starb, konnte er diese Bestätigung seiner Berechnungen nicht mehr miterleben.
Newton wiederum soll während seiner Zeit in Cambridge, also schon früh, erkannt haben, dass die Anziehungskraft im Quadrat abnehmen müsse. Aus einer Schrift wird deutlich, wie er in den Pestjahren 1665/1666 seine Gedanken zur Schwerkraftwirkung entwickelte:
„[…] Im Mai desselben Jahres fand ich die Methode der Tangenten des Gregory und Slusius, und im November hatte ich die Differentialrechnung, und im Januar des nächsten Jahres hatte ich die Farbtheorie, und im Mai darauf hatte ich Zugang zu der umgekehrten Differentialrechnung, und im selben Jahre begann ich zu denken, dass die Schwerkraft sich auch auf den Mond erstrecke, und … aus Keplers Gesetz von den periodischen Umlaufzeiten der Planeten leitete ich ab, dass die Kräfte, welche die Planeten in ihren Bahnen halten, im umgekehrten Verhältnis zu den Entfernungen von den Mittelpunkten stehen müssen, um die sie sich drehen; dabei verglich ich die Kraft, die erforderlich ist, um den Mond in seiner Bahn zu halten, mit der Schwerkraft an der Oberfläche der Erde und fand, dass sie ziemlich genau passten […]“, schrieb Newton ca. 1715.
Doch war er wohl nicht zufrieden mit den ersten Ergebnissen seiner Berechnungen, jedenfalls veröffentlichte Newton diese Arbeit nicht.
Am 23. Mai 1666[68] schlug Hooke wiederum den versammelten Mitgliedern der Royal Society seine Deutung für die von Johannes Kepler beschriebenen Planetenbahnen vor. 1674 konkretisierte Hooke seine Vorstellung über das Wirken der Gravitation weiter. Die Wirkung zwischen den Himmelskörpern erfolge unmittelbar und sie sei umso stärker, je näher sie einander seien.[69]35 Soweit ich diesen Prioritätsstreit von außen betrachtet beurteilen kann, sind Newton und Hooke wahrscheinlich unabhängig voneinander zu ähnlichen Theorien und Schlussfolgerungen gelangt. Allerdings taucht die Theorie, dass die Schwerkraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands vom Massezentrum ist, laut Störig erstmals in einem Brief Hookes an Newton auf.36
Hooke teilte Newton am 6. Januar 1680 seine Annahme mit, „daß sich die Anziehung reziprok quadratisch zur Entfernung vom Zentrum verhält […]“ Weder in Newtons neunseitiger Abhandlung De motu corporum in gyrum (Über die Bewegung von Körpern auf einer Bahn) im Jahr 1684, noch in seinem im Sommer 1687 erschienenen Hauptwerk Principia Mathematica, wurde Hookes Beitrag erwähnt, was endgültig zu einem schweren Zerwürfnis der beiden führte, das aber eigentlich schon viel früher begonnen hatte. Denn als Newton seine Licht- und Farbtheorie ca. 1669 an die Royal Society sandte, wurde diese Theorie von Hooke, dem Kurator für Experimente, scharf kritisiert. Die Auseinandersetzungen mit Hooke und Wissenschaftlern auf dem Kontinent über die Theorie des Lichts und der Farben setzen Newton über viele Jahre hinweg zu. Seine Optics wird erst 1704 nach dem Tod Hookes publiziert.37 Bei einem weiteren Prioritätsstreit, der allerdings vornehmlich von den Anhängern von Newton bzw. Leibniz geführt wurde, ging es übrigens darum, welcher der beiden zuerst eine taugliche Infinitesimalrechnung entwickelt hatte. Auch hier scheinen beide mehr oder weniger parallel an den Kalkulationen gearbeitet zu haben.
Weder Hooke noch Newton noch Kepler oder Leibniz und die anderen Naturforscher des 17. Jahrhunderts, die hier nicht eigens erwähnt werden können, zweifelten grundsätzlich am Wahrheitsgehalt der Bibel und des Schöpfungsberichts. Sie versuchten lediglich die Heilige Schrift zeitgemäßer zu erklären, nicht ohne dabei Gottes wunderbare Werke ständig zu lobpreisen. Damit lösten sie jedoch, wahrscheinlich ungewollt, eine schleichende Erosion aus, welche den Glauben an eine buchstäblich zu nehmende Wahrheit der Bibel langsam aber sicher obsolet machte, kurz gesagt: es fand eine Rationalisierung der Bibeltexte statt, was sich gut an den Schriften von Thomas Burnet darstellen lässt, mehr dazu siehe weiter unten im Text.
Hooke wird 1661 erstmals in den Akten der Royal Society (von der wir noch mehr hören werden) erwähnt, und wurde später sogar Kurator (zuständig für Experimente) der Institution, wo er ab 1667 mit einer Vortragsreihe über Geologie begann, genauer gesagt ging es um Erdbeben und unterirdische Eruptionen. Laut einem interessanten Beitrag von Wolf-Ekkehard Lönning war der Ausgangspunkt seiner Überlegungen […] der von ihm als historisch wahr akzeptierte Genesis-Bericht zum Thema Sintflut. (Dass er den Genesis-Bericht der Bibel sowohl zum Thema Schöpfung als auch zur Flut als wahre Historie betrachtete, kommt übrigens an zahlreichen Stellen seines Werkes deutlich zum Ausdruck.)38
Da einige der von Hooke untersuchten Fossilien keinem der existierenden Lebewesen ähnelten, zog er es in Betracht, dass es sich um ausgestorbene Lebewesen handeln müsse.39 Hooke ging, wie erwähnt, nicht davon aus, dass der Schöpfungsbericht Bibel allzu wortwörtlich zu nehmen sei, aber auch er vertritt wie wohl die meisten Gelehrten seiner Zeit die Auffassung, dass die in der Bibel beschriebene globale Flut die Ursache für das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten gewesen sein dürfte, und dass ganze Länder im Meer untergegangen sein könnten, während andere sich aus dem Wasser erhoben (1668/1705, pp. 327 und 328) Sein Schlußsatz zu diesem Punkt lautet (p. 328): "And 'tis not improbable but in the Flood of Noah, the Omnipotent might make use of this means to produce that great effect which destroyed all Flesh, and every living thing, save what was saved alive in the Ark.40
Wie es der Zufall so will, erhielt Newton nur ein paar Tage nach Hookes Brief vom 6. Januar 1680, in welchem dieser Newton seine Annahme mitteilte, „daß sich die Anziehung reziprok quadratisch zur Entfernung vom Zentrum verhält […], einen Brief von einem gewissen Thomas Burnet. Burnet hatte sich offenbar an einer Deutung der mosaischen Schöpfungsgeschichte und dem Zustandekommen des kosmologischen und geologischen Zustands der Welt, wie wir sie kennen, versucht, und fragte Newton in seinem Brief, was der davon halte. In seiner mehrbändigen Telluris theoria sacra machte sich Burnet Gedanken über eine Welt vor der Sintflut, die ursprüngliche Erde – das Paradies. Burnets Paradiesvorstellung bezog sich auf das mosaische Paradies und ging von einer kosmologischen, geologischen und biologischen Andersartigkeit der Weltverfassung aus,41[55] war aus einer sehr interessanten Bachelorarbeit von Lavinia Gambini im 2. Kapitel zu erfahren. Burnet war der Meinung, dass die Menschheit vor der biblischen Sintflut (aber nach der Vertreibung aus dem Paradies) etwa 1600 Jahre bestanden haben musste. Zur Verdeutlichung, auf welche Weise Burnet sich bei der Erschaffung seiner Heiligen Geschichte von mechanisch-physikalischen Prinzipien leiten ließ, sei hier nur kurz erwähnt, was Burnet aus der Offenbarung des Johannes machte. In Offenbarung 21,1 steht:
„Da sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr.“
Burnet fand hier den „Beweis“, dass die neue paradiesische Erde keine Meere besitzen würde,[73] während sich die Tatsache, dass diese ebenfalls keine Berge aufweisen würde, aus dem Prinzip der gleichmäßigen Diffusion von Flüssigkeiten auf einer Oberfläche ableiten ließ: Der unterste Stratus der Erde, bestehend aus „liquid Fire“ (also der Erdkern), würde eine gleichmäßige Kugel bilden, auf der sich die neuen Sedimente homogen ablagern, wodurch keine Berge entstehen könnten. Auch eine weitere Transformation der „New Earth“, nämlich die Begradigung der Erdachse und der Ekliptik, leitete Burnet aus einem naturwissenschaftlichen Prinzip ab: Die homogen kugelförmige Erde werde ihren Schwerpunkt („center of gravity“) genau im Erdmittelpunkt haben und dies werde dazu führen, dass die Pole senkrecht zum Bewegungsmittelpunkt der Erde stehen werden.[74]42
Eine Besonderheit der Schriften des Burnet ist die physikotheologisch begründete Beschreibung der Endzeit, und noch einiges mehr. All das kann Burnet dank seiner Beschäftigung mit geologischen und physikalischen Schriften seiner Zeit direkt aus der Bibel herleiten. Newtons Antwort auf Burnets Brief und dessen Werk und Thesen fiel offenbar entsprechend verhalten aus – Newton war weniger an Kosmogonie als an der Entdeckung von allerlei Gesetzmäßigkeiten interessiert - doch brachte die positive Rezeption der ersten beiden Bücher der Telluris theoria sacra Burnet wenige Monate später die Patronage des 2nd Duke of Ormond und des Erzbischofs von Canterbury John Tillotson (1630–1694), sowie die Ernennung zum Rektor des Charterhouses (1685) und zum chaplain im Kabinett Williams III. (1691) ein.4344
Laut Gambini war „Burnets erfolgreiche theoria [...] eine spekulative Kosmogonie, die aus der Heiligen Schrift versuchte, die gesamte Geschichte der Erde zu rekonstruieren. Sie war somit eine historia sacra der Erde [...]“. Auch Burnet studierte ab 1651 in Cambridge. Die Vertreter neuer Kosmogonien, die wir bisher betrachteten und die noch folgen werden, waren Teil eines Transformationsprozesses, der besonders gut in und um Cambridge beobachtet werden kann. Bei diesem gesamten Transformationsprozess handelte es sich laut Gambini nicht um eine „endgültige Annihilation der Erde, sondern um eine mechanische Verwandlung, die durch ihren Detailreichtum an „wissenschaftlicher Plausibilität“ gewinnen wollte.[83]45
Innerhalb dieser Transformation war Platz für eine ‚innerweltliche‘ Welt- und Menschheitsverbesserung. Im Zuge dessen wurde im England des späten 17. Jahrhunderts eine Diskussion über die Legitimität von naturkundlichen Darstellungen wundersamer und eschatologischer Ereignisse sowie über Burnets Wissenschaftlichkeit und exegetische Genauigkeit entfacht.[85, s.o.] Burnets theoria befand sich gewissermaßen an der Schnittstelle zwischen Physikotheologie, ‚new theology‘ und demonstrativ-experimenteller Naturkunde (‚New Science‘) und deren ‚rationalen‘ Methoden der Wissenserlangung. Neuartig an Burnets theoria war jedenfalls seine Vorstellung, dass die Schriften „naturwissenschaftlich ausgelegt werden konnten und dass sie in Form von Offenbarungen naturkundliche Wahrheiten über das zurückkehrende Paradies enthielten (Gambini).
Sie behandelte typische physikotheologische Themen, wie die Schöpfungsgeschichte, die Sintflut und die Auferstehung unter der naturtheologischen Annahme der Existenz einiger ausschließlich durch Vernunft und Empirie erfahrbarer, also nicht offenbarter, Glaubensinhalte[86] und hatte als primäre Funktion den Kampf gegen Deismus und Atheismus.[87] Sie folgte zugleich einer exegetisch-apologetischen Tradition und stützte sich wiederum auf die in René Descartes’ (1596–1650) naturphilosophischen Principia philosophiae (1644), in denen eine mechanistische, also ausschließlich auf mechanischen Naturgesetzten basierte Kosmogonie dargelegt wurde.[88] Burnet stimmte nämlich mit Descartes, dessen Lehre More und Cudworth selbst in Cambridge eingeführt hatten, [89] in der Behauptung überein, dass (abgesehen von der Schöpfung und der first und second resurrection) sich die historia sacra der Erde samt conflagratio und chiliastischer Verwandlung mechanistisch ohne den Eingriff Gottes abspielen würde.[90]46
Erwähnt werden muss jedoch noch, dass Burnets Erfolg, sein Ruf und Ansehen durch ein weiteres Buch praktisch wieder zerstört wurden. In seiner 1692 erschienenen Archaeologiae philosophicae behauptete Burnet schockierender Weise, dass in den Büchern Moses – im Gegensatz zu Johannes – keine physikalischen Wahrheiten über die Schöpfung und das Paradies inkludiert waren. Von einem Tag auf den anderen war Burnet ganz unten durch in der Welt seiner phyiskotheologisch orientierten Kollegen.
Das Werk entfachte in England in naturphilosophischen Kreisen eine erbitterte Diskussion und zog die Aufmerksamkeit Leibniz’ auf sich, der im Briefwechsel mit seinem britischen Korrespondenten dem fast homonymen, Thomas Burnett of Kemnay, nach Neuigkeiten über Burnet fragte.
Ein Zeitgenosse von Newton, Hooke oder eben Burnet war der eben erwähnte und als „letzter Universalgelehrter“ bezeichnete Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716). Zufällig hatte Leibniz just zu der Zeit, als Burnet Probleme wegen der Archaeologiae bekam, eine Geschichte der Welt von Anfang an wohl so ziemlich fertiggestellt, verzichtete aber zum damaligen Zeitpunkt auf eine Veröffentlichung, wir kommen gleich darauf zurück. Warum dies so war, wird nun verständlicher. Heute wird Leibniz vor allem als (Mit-)Erfinder der Infinitesimalrechnung geehrt. Krumme Flächen, Ellipsen und Planetenbahnen konnten alsbald mathematisch exakt berechnet werden. Es gibt jedoch, abgesehen davon, dass Leibniz von den Briten offenbar als Plagiator (von Newton) betrachtet wurde, einen kleinen Schönheitsfehler bei dieser Lobpreisung der Infinitesimalrechnung, denn, so Störig in seiner Kleinen Wissenschaftsgeschichte:
Das meiste an der Gedanken- und Beweisführung beider ist nach heutigen Urteil unhaltbar. Es ist gesagt worden, dass es heute nicht einmal in einem Logikkurs für Anfänger zugelassen würde! Tatsächlich sind klare und haltbare – wie gesagt nicht unbedingt endgültige – Ansichten über den tieferen Gehalt des Kalküls und über Begriffe wie Stetigkeit, Grenzwert, Differentiation erst im 19. Jahrhundert durch Cauchy und andere entwickelt worden.47
Störig fragt dann, wie es aber möglich sei, dass Newton und Leibniz trotz falscher Beweisführung zum richtigen Ergebnis kamen, dass auch ihre Nachfolger, die den Kalkül im 18. Jahrhundert ausbauten und in mannigfacher Weise praktisch anwendeten, zu richtigen Ergebnissen gelangten?
Die Antwort mag den Laien vielleicht überraschen. Denn laut Störig ist ein solcher Vorgang in der Mathematik – und in der Wissenschaftsgeschichte überhaupt – nichts gar so Seltenes oder Auffallendes. Instinkt oder Intuition würden oft das Richtige ergreifen, auch da, wo eine strenge logische Beweisführung noch fehlt. Auch die heutige Wissenschaft verwende erfolgreich Methoden, deren letzte Grundlagen ihr nicht immer durchsichtig seien. In der Tat, mir fallen da gerade einige Theorien und Methoden in der Moderne ein, die überhaupt nicht durchsichtig sind. Davon später mehr.
Eine Voraussetzung der Infinitesimalrechnung ist, dass der Fluss der Erscheinungen in Raum und Zeit kontinuierlich ist. In anderen Worten: Etwas ist nur berechenbar, wenn dieses Etwas keine Kapriolen machte, ein Umstand, der zum Stolperstein nicht nur für die Datierungsmethoden der Geologen im ausgehenden 19. Jahrhundert werden sollte.
Weniger bekannt ist, dass Leibniz mittels seiner Mathematik die Vollkommenheit von Gottes Schöpfung zu beweisen versuchte, aber es scheint ihm auch klar gewesen zu sein, dass gemäß seiner Theorie (die von einem Äther als Ersatz für die Wirbeltheorie ausging) viel mehr Zeit verstrichen sein muss, als von der Bibel zugestanden wurde.48 Der Begriff, den er für seine mathematische Erklärung der Vollkommenheit von Gottes Schöpfung erfand, lautete: Theodizee.49 Demnach leben wir in der besten aller möglichen Welten, so die Leibnizsche Theorie. Zwar bezog sich Leibniz mit dieser Aussage auf die Welt in ihren Entwicklungsmöglichkeiten, jedoch kam die These dennoch nicht bei allen gut an.
Darüber hinaus drängte es Leibniz ebenso wie Burnet, eine Geschichte von der Entstehung der Welt, wie wir sie so kennen, zu schreiben, und bezieht sich dabei, wie Burnet, immer wieder auf die mosaische Bibel – allerdings nicht ganz so penetrant, so mein erster Eindruck. Das Buch, eigentlich bereits 1691/92 geschrieben und wohl auch abgeschlossen, wurde jedoch erst lange nach seinem Tod unter dem Titel „Protogaea Oder Abhandlung Von der ersten Gestalt der Erde und den Spuren der Historie in den Denkmaalen der Natur“ veröffentlicht.50 Ich habe dieses Werk nur bis zu Paragraph 4 auf Seite 50 geschafft, dafür aber wenigstens die Einleitung des 1749 veröffentlichen Werks gelesen. Die Protogaea wird bei Alexander von Humboldt erwähnt, der 1847 Band 2 seiner Wissenschaftsgeschichte „Kosmos“ herausgab, was eindrücklich belegt, welchen Abdruck Leibniz in der Gelehrtenwelt noch Mitte des 19. Jahrhunderts hinterlassen hat.
Humboldt erklärt im zweiten Band des „Kosmos“, daß die Vulkantheorien im Anfang des 18. Jahrhunderts durch das Studium der „Protogäa zu allgemeineren Ansichten hätten erhoben werden können“, dass Leibniz also dazu beigetragen habe, wenngleich er die Leibnizsche Schrift als „wildes Phantasiebild“ kennzeichnet. „Vulkantheorien“ und deren Anhänger standen im Gegensatz zu den Neptuniern, zu diesen Begriffen kommen wir demnächst. Merken wir uns an dieser Stelle zunächst, dass der Gelehrtenstreit von Vulkanisten und Neptunisten (es geht um verschiedene Theorie der Gesteinsbildung, also auch darum, wie die Erde entstanden ist) Mitte des 19. Jahrhunderts immer noch eine Erwähnung wert war. Leibniz vertrat z.B. die Auffassung, die Erde sei einst vollständig von Wasser umgeben gewesen, zählt aber dennoch durchaus zu den Vulkanisten, jedenfalls was Humboldt angeht. Humboldt schrieb in seiner Wissenschaftsgeschichte, Leibniz lehre
„die Verschlackung der cavernösen, glühenden, einst selbstständig leuchtenden Erdrinde; die allmälige Abkühlung der in Dämpfe gehüllten wärmestrahlenden Oberfläche; den Niederschlag und die Verdichtung der allmälig erkalteten Dampf-Atmosphäre zu Wasser; das Sinken des Meeresspiegels durch Eindringen der Wasser in die inneren Erdhöhlen; endlich den Einsturz dieser Höhlen, welche das Fallen der Schichten (ihre Neigung gegen den Horizont) veranlaßt.“[37]
Humboldt gibt zu, daß die Protogäa einige Züge biete, „welche den Anhängern der neuen, nach allen Richtungen mehr ausgebildeten Geognosie nicht verwerflich scheinen werden“; dazu gehören nach Humboldts Ansicht
„die Bewegung der Wärme im Inneren des Erdkörpers und die Abkühlung mittelst der Ausstrahlung durch die Oberfläche; die Existenz einer Dampf-Atmosphäre; der Druck, welchen diese Dämpfe während der Consolidirung der Schichten auf letztere ausüben; der doppelte Ursprung der Massen, als geschmolzen und erstarrt oder aus den Gewässern niedergeschlagen.“[38]51
Kurz erwähnt werden soll noch der damals als Kaplan des Bischofs von Norwich tätige William Whiston (1667 – 1752), der 1697 als Antwort auf Burnets Schriften „A New Theory of Earth“ veröffentlichte. Natürlich studierte auch Whiston in Cambridge (am Clare College) und wie Burnet verschafft ihm seine Schrift, die sich, ehrlich gesagt, nicht wirklich dramatisch von Burnets Schrift unterschied, hohes Ansehen in Gelehrtenkreisen und einen Posten als dritter Lucasian Professor für Mathematik in Cambridge. Am 30. Oktober 1710 verlor er jedoch aufgrund seines arianischen Glaubens sein Cambridger Amt und widmete seine restliche Londoner Karriere dem ‚vernünftigen‘ Beweis biblischer Prophetien und der Berechnung des genau Datum für den Anfang des Tausendjährigen Reichs.52 Whiston scheint ähnlich überzeugt vom Weltuntergang, und dass dieser anhand der Bibel, der Naturphilosophie sowie mittels Logik und seiner deduktiv-probalistischen Methode (andere würden die Methode vielleicht weniger hochtrabend als begründete Spekulation bezeichnen) berechnet werden könne. Nichtsdestotrotz erfuhren Burnet wie Whiston über das gesamte 18. Jahrhundert eine europaweite Rezeption.
In den späten 1600er und frühen 1700er Jahren entstand, wie wir anhand einiger Beispiele gesehen haben, beinahe so etwas wie ein neues Genre. Die Genesis wird aus einer geologisch-naturwissenschaftlichen Sicht neu erzählt, was neue Probleme aufwarf. Denn: Wenn nun nach jeweils neuester Auslegung der Bibel einige Teile davon, insbesondere die Genesis, auch allegorisch gelesen werden konnten, galt dies dann vielleicht auch für die Sintfluterzählung? Handelte es sich in Wirklichkeit vielleicht nur um eine Erzählung einer kleinen Gemeinschaft irgendwann in der Antike, die maßlos übertrieben dargestellt und in Form von Legenden verewigt wurde? Wir sehen in diesem Fragenkomplex den Kern der Entwicklung, die es im 19. Jahrhundert einem Charles Lyell oder einem Charles Darwin ermöglichen würde, die Anzeichen von Katastrophen noch in geschichtlicher Zeit zu ignorieren oder zu verharmlosen.
Unabhängig von Theorien und Erkenntnissen der Naturphilosophen begannen einzelne jüdische und christliche Denker biblische Texte und besonders ihre wunderhaften Seiten einer vernunftgemäßen Betrachtung zu unterziehen.
Bisher hatte man kritische Anfragen an den historischen Wahrheitsgehalt biblischer Texte mit dem Argument ferngehalten, dass das biblische Wort durch Gott selbst beglaubigt und offenbart war und daher irrtumsfrei sei. Dieses Unterwerfungsargument zog nun nicht mehr. Jean Astruc, der jüdische Leibarzt des französischen Sonnenkönigs, erkannte in den biblischen Schöpfungsgeschichten und der Sintfluterzählung unterschiedliche Textschichten. Die Bibel erzählt zweimal von Schöpfung und Sintflut, die gleiche Geschichte auf unterschiedliche Weise. Ein schweres Argument gegen die unterstellte Berichterstattertreue der Texte.53
Leider hatte sich Gott seit 2000 Jahren oder so der Wunder (mit Ausnahme von kleineren „Wundern“) enthalten, weshalb es selbst den hartgesottensten Religiösen im Zeitalter der Aufklärung zunehmend schwerer fiel, die biblische Genesis-Geschichte allzu wörtlich zu nehmen. Die rettende Lösung für das theologische Dilemma war: man dürfe die Bibel nicht in Allem wörtlich nehmen.
Moses hätte die Geschichte der Erschaffung der Welt für das Volk vereinfacht, lautete die neue Devise, aber im Prinzip sei in der Heiligen Schrift natürlich – wenigstens was die geschichtsrelevanten Teile betraf – nichts als die Wahrheit enthalten. Nach und nach gingen die Bibel-Experten zu verschiedenen Kompromissen über: Von den 6 Tagen der Schöpfung seien mindestens einer oder zwei als Millenien zu verstehen, später gar als Millionen von Jahren, keinesfalls aber wörtlich. Im allmählichen Rückzugsgefecht der Theologen von einst so lieb gewonnen Dogmen, musste nun aber wenigstens die Geschichte des Stammvaters Abraham und der tatsächlichen Existenz Jesu, ja der ganzen biblisch-göttlichen Geschichte nach Kräften gestützt werden, während der Teil mit der Erschaffung der Welt, die Genesis, fortan allegorisch interpretiert wurde. Der kirchliche Widerstand gegenüber der Vorstellung, dass die Welt Millionen oder Milliarden Jahre alt sein könnte, schwand spätestens im 2. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts und wich einer aufgeklärteren Art von Glauben.
Bald nachdem sich Steno im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts Gedanken über das Erdinnere zu machen begann, d.h., die Entstehung von Gesteinsarten zu erforschen, wurde das Thema „Verformung der Erde aufgrund der Rotation“ ein großes Thema. Ein völlig neues theoretisches Forschungsfeld ergab sich für gebildete Zeitgenossen und Freidenker, ebenso wie neue Fragen, welche den wissbegierigen Forscher im Zeitalter der Aufklärung beschäftigten.
Wenn die Erde rotiert, ist sie ein fester Körper oder ein elastischer? Ist das Erdinnere flüssig? Wenn die Erde kein starrer Körper war, dann würde sich die Gestalt der Erde entsprechend der physikalischen Gesetze verformen. Man war sich jedenfalls nicht ganz sicher hinsichtlich der genauen Art der Verformung, weshalb die ersten systematischen Vermessungsaktionen durchgeführt wurden, um die Form der Erde mittels Gravitationspendeln zu ermitteln. Egal aber, ob die Erde aufgrund der Rotationskräfte eher einem Elipsoid glich oder doch einem abgeflachten Sphäroid, die allgemeine Aufmerksamkeit begann sich auf die Kräfte und Naturgesetze zu richten, welche die Entstehung der Erde zu erklären vermochten. Wenn die Erde allgemein gültigen Naturgesetzen unterworfen war, wie – und vor allen Dingen wann – war sie dann entstanden?
Konservative kirchlichen Autoritäten und Gläubige erklärten natürlich, die Erde sei vor fünf- bis sechstausend Jahren an einem Tag erschaffen worden, von Gott, und damit Basta! Das genaue Datum hinge davon ab, ob man diesen oder jenen Kalender als Berechnungsgrundlage heranzog und Ahnenfolgen der einen oder anderen Bibelgestalt so oder so auslegte und berechnete. Doch die Kirche hatte der wissenschaftlichen Debatte im Zeitalter der Aufklärung nicht viel mehr entgegenzusetzen als den Glauben an ein altes Buch, einen guten Mann und eine Idee, die von Schuld und dem Jenseits sprach, aber keine Antwort gab auf die neuen, brennenden Fragen betreffs der Beschaffenheit und Entstehung der Erde und des Universums.
Insbesondere Forscher der Naturwissenschaften der beiden Großmächte England und Frankreich, später gesellte sich auch Preußen hinzu, lieferten sich veritable Prestigekämpfe, bei denen es auch um Geld ging. Z.B. wurden 1734 von der Pariser Akademie der Wissenschaften 2500 Sous für die beste wissenschaftliche Arbeit über die Neigung der Planetenbahnen ausgelobt, was eine ordentliche Stange Geld in dieser Zeit war.
Der Glaube, Gott hätte das Universum und die Welt in einer Sechstagewoche erschaffen, zerrann in den Augen der Aufgeklärten zu einem Kindermärchen.
Im Kreuzfeuer der Aufklärung standen dann die historischen Unwahrscheinlichkeiten des erzählten Geschehens der Sintflut. Johann Samuel Reimarus, Hamburger Orientalist, der von Lessing unterstützt und im sog. „Fragmentenstreit“ anonym publiziert wurde, listete minutiös die technischen Schwierigkeiten und Absurditäten des Unternehmens Sintflut auf und der Aufklärer Voltaire ergoss seinen Spott über so viel „Wunderbares“: Wo kommt das Wasser her, das weltweit noch 15 Ellen über die höchsten Berge gereicht haben soll. Und wo geht es nach der Sintflut wieder hin? [...]
Hatte Gott bei der Erschaffung der Welt etwa die Naturgesetze außer Kraft gesetzt, so fragten sie, und diese Gesteine und Schichten alle auf einen Schlag erschaffen? Aber warum sollte er das tun? Oder musste sich selbst der Schöpfer an gewisse Regeln halten? Das grundsätzliche Problem der Kirchentheologen war bereits seit dem 13. Jahrhundert der sogenannte Aristotelismus, Thema eines späteren Kapitels. Es war indes eine Sache, philosophische, theologische und logische Spitzfindigkeiten mit scharfen rhetorischem Schwert gegen den Widersacher ins Feld zu führen (und missliebige Schriften mit dem Bann zu belegen bzw. die Ketzer zu verbrennen oder einzusperren), eine andere waren eben z.B. diese Schichten, die jeder hundsgemeine dahergelaufene Naturforscher anschauen und analysieren konnte. Macht, Ansehen und Legitimation der Kirche befanden sich im 18. Jahrhundert ebenso eindeutig auf dem Rückzug wie die Deutungshoheit der Kirche über die Bibelgeschichte. Thomas Naumann meint gar:
„Im 18. Jh. wird das etablierte Verständnis der Sintflutgeschichte als göttlich beglaubigter historischer Bericht nachhaltig zerstört.“54
Heinsohn bezeichnet diese Zeit als „Hoch- und Blütezeit freier Wissenschaft“, mit gewissen Vorbehalten würde ich dieser Aussage zustimmen. Denn im Kampf gegen das geistige Korsett der Kirchendoktrin entpuppten sich einige Gelehrte und Naturforscher unter bestimmten Umständen als Freidenker, die althergebrachte Bahnen verließen und neuartige Theorien erdachten. Manchmal jedoch wurden im Eifer Brücken abgerissen, die vielleicht noch von Nutzen hätten sein können.
Schon der englische Universalgelehrte Edmond Halley (1656-1742) – bekannt durch den nach ihm benannten Kometen, dessen Wiederkehr er als erster vorausberechnete – entwickelte eine Theorie zum Ursprung der in den Überlieferungen erwähnten Flutkatastrophen. Er äußerte die Vermutung, dass die Erdachse durch den Einschlag eines großen Kometen ruckartig verlagert worden war, wodurch das Wasser der Ozeane über die Küstengebiete der Kontinente hereingebrochen sei. „Mit dieser Vorstellung wird Halley wohl zum ersten Gelehrten, der […] die Möglichkeit einer kosmischen Kollisionskatastrophe mit einem Schweifstern in Erwägung zog.“(4) Seine strenggläubigen Zeitgenossen indes konnten dieser Hypothese wenig Rühmliches abgewinnen und so kosteten ihn seine „unchristlichen“ Ideen zur Entstehung der biblischen Flut die Berufung auf den Savilian-Lehrstuhl für Astronomie.
Die Überlegungen eines anderen Forschers, William Whiston (1667-1752), verliefen in ganz ähnlichen Bahnen. Er war zunächst Schüler, später zeitweilig Kollege Isaac Newtons an der Cambridge University, und behauptete 1696 in seiner New Theory of the Earth, dass der biblische Sintflutbericht auf eine Katastrophe am Ende des dritten vorchristlichen Jahrtausends zurückgehe, als durch den nahen Vorbeiflug eines gigantischen Kometen die Wasser der Erde in Aufruhr geraten seien.
Dabei stützte er sich auf antike Überlieferungen und auf die damals noch junge Newtonsche Theorie der allgemeinen Gravitation.(5) Neben Newton zeigten sich auch John Locke und andere zeitgenössische Geistesgrößen von Whistons Theorie begeistert. Im Jahr 1710 jedoch wurde er von der anglikanischen Kirche wegen seiner zu radikalen Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte als Ketzer vor Gericht gestellt. Er verlor seine Professur und geriet mit seinem ehemaligen Mentor Newton in Streit. Newton, der in der Gleichförmigkeit des Planetensystems die ordnende, schöpferische Hand Gottes suchte, begegnete Whistons Hypothesen nun mit Ablehnung, da er glaubte, das Aufgeben der traditionellen Ansichten über die Ordnung im Weltall könne zu einem moralischen Verfall führen. Ihre Auseinandersetzung gipfelte 1720 in einem handfesten Skandal, als Newton die Aufnahme Whistons in die Royal Society verhinderte, indem er seinen Rücktritt als Vorsitzender der Gesellschaft androhte.55
Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt begegnen wir, wie aus der Reaktion Newtons ersichtlich ist, einer Geisteshaltung, die es vorzog, an eine göttliche Ordnung frei von globalen oder kosmischen Katastrophen zu glauben. Diese Tendenz verstärkte sich im Verlaufe der nächsten über 100 Jahre, einige Kardinalpunkte waren zunächst die Diskussion von Neptunisten und Plutonisten, wobei es um die Entstehung der Gesteinsschichten ging, sowie der Streit um die exakte Form der Erde, was schließlich spätestens ab dem Ende des 18. Jahrhunderts in einer Auseinandersetzung zwischen „Katastrophisten“ und Gradualisten kulminierte.
Bereits 1767 sah sich der Geologe, Soziologe, sowie Brücken- und Festungsbaumeister Nikolaus-Antoine Boulanger (1722 – 1759) genötigt, die Evidenz für eine Sintflut gegen ihre zunehmende Leugnung zu verteidigen, wie aus einer seiner Schriften, die nachfolgend (nach Heinsohn) zitiert wird, hervorgeht:
„>Was? ihr glaubt die Sündflut?<, schreyet heut zu Tage ein gewisser Haufe; und dieser Haufe ist sehr zahlreich. […] Das Auge des Naturkundigen hat die unstreitigen Denkmale dieser alten Erdveränderungen entdecket: […] wenn er in der Erde gegraben, hat er gehäufte Trümmer von Schiffen an unrechten Orten gesehen: er hat ungeheure Mengen von Muscheln und Schaalfischen auf den Gipfeln der jetzt vom Meer entferntesten Berge gefunden: er hat in den Tiefen der Erde ungezweifelte Ueberbleibsel von Fischen getroffen: [...]ja er hat in den Tiefen des Erdbodens, den er bewohnet, Knochen und Ueberbleibsel von Thieren gefunden, die heut zu Tage nur auf der Erdfläche oder im Wasser leben. Diese […] bekannten Dinge zwingen den Physiker, zu erkennen, daß die ganze Oberfläche unserer Erdkugel einen Wandel gelitten, daß sie andere Meere, anderes festes Land, eine andere Geographie gehabt, und daß das feste Erdreich, welches wir jetzt einnehmen, ehedessen Meer gewesen. An der Wahrheit hievon zweifeln, würde heissen, die Natur Lügen strafen, die selbst an allen Orten Denkmale errichtet hat, welche Zeugnis davon sind. […] Die grosse Veränderung also, die ein Stück unseres Erdbodens unter Wasser gesetzet, um ein anderes blos und trocken dazustellen, oder was man die allgemeine Sündfluth genennet hat, ist eine Begebenheit, die man nicht leugnen kann, die man würde glauben müssen, wenn uns auch keine Traditionen davon etwas gesagt hätten. […] Nur genaue Nachforscher der Natur wissen, daß unsere Erdkugel nichts als eine Zusammenhäufung von Ruinen ist, und in allen ihren Theilen, die Spuren von einem allgemeinen Umsturz in sich hat.“56
Der erste quasi-Geologe, der meiner Kenntnis nach das Alter der Erde auf mehr als 1 Milliarde Jahre schätzte (Pardon, berechnete) war übrigens Benoît de Maillet (1656-1738)57 Maillet war interessiert an Geologie und Naturgeschichte und, wenn man so will, ein Superneptunist. Von 1692 – 1708 war er französischer Konsul in Ägypten. De Maillet verwendete eine recht originelle Rückrechnungsmethode, die in einem Artikel wie folgt beschrieben wurde.
Durch die Beobachtung von versteinerten Muscheln, die in Sedimentgestein auf Bergen hoch über dem Meeresspiegel eingebettet waren, erkannte de Maillet die wahre Natur der Fossilien. Da er nicht erkannte, dass sich das Land heben könnte, schloss er, dass die Erde ursprünglich vollständig von Wasser bedeckt war - eine Theorie von René Descartes[...]. De Maillet leitete aus den Orten, an denen ehemalige Häfen heute über dem Meeresspiegel liegen, eine Senkungsrate des Meeresspiegels von etwa drei Zoll pro Jahrhundert ab. Da er das Alter der Erde bis zu den höchsten Bergen zurückverfolgte, kam er auf 2,4 Milliarden Jahre, so dass er es für angemessen hielt, anzunehmen, dass seit der Bedeckung der Erde mit Wasser mindestens 2 Milliarden Jahre vergangen sind. Natürlich ist dieser Versuch in mehrfacher Hinsicht mangelhaft, aber er enthält den Keim eines echten Fortschritts. Er erkannte die Bedeutung langsamer natürlicher Prozesse, die über lange Zeiträume hinweg ablaufen und die Erde formen und gestalten. Er führte die Idee ein, dass die Erde Milliarden von Jahren alt sein könnte, was selbst eineinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod noch geleugnet worden wäre.58
Andere Naturforscher und Philosophen des 18. Jahrhunderts begannen unterdessen, dabei zunehmend zielstrebiger vorgehend, mit der Klassifizierung von Pflanzen, Tieren und Gesteinen. Was Tiere und Pflanzen anbelangt, so ordnete schon Aristoteles die ihm bekannten Lebewesen in einer Stufenleiter nach dem Grad ihrer „Perfektion“, also von primitiven zu höher entwickelten, was übrigens auch für Menschen galt. Naturforschern bot sich durch die Klassifizierung und Erforschung von Gesteinsarten ein großes neues Forschungsfeld.
Auch im Zuge der Frage nach der wahren Form der Erde rückten die Gesteinsarten in das Blickfeld der Forscher, und es entspann sich ein Gelehrtenstreit zwischen sogenannten „Neptunisten“ und „Plutonisten“. Aufbauend auf Nicolaus Stenos Erklärung, von Sedimentgesteinen (Sedimentgestein bildet sich aus horizontal abgelagerten Material im Wasser) vertraten die Neptunisten die Ansicht, alle Gesteine seien Sedimentgesteine, während die Plutonisten auf die Entstehung von Lavagestein aufgrund vulkanischer Aktivitäten verwiesen, was zum eben erwähnten Gelehrtenstreit zwischen Anhängern den beiden Theorien führte.
Die Beschäftigung der Gelehrten mit der Entstehung von Gesteinen hatte natürlich abermals den Effekt, den Anfang der Schöpfung in auf einen ziemlich ungewissen Zeitpunkt in einer sehr fernen Vergangenheit zu verschieben, und die biblische Erklärung von der Weltschöpfung in 6 Tagen in Zweifel zu ziehen.
Zu diversen theologischen Untiefen, die sich aus Erkenntnissen und Theorien von Naturphilosophen und Gelehrten für die Kirchenautoritäten und den reinen Glauben ergaben, gesellten sich weitere naturwissenschaftliche Entdeckungen, Theorien und Ereignisse der Weltgeschichte, die sich um die Wende zum 19. Jahrhundert hin auswirken würden auf Politik, Gesellschaft, religiöse Vorstellungen und Naturwissenschaften.
Mit dem Aufstieg der fortschrittlichen Freimaurerei sowie dem Verbot der Jesuiten ca. 1773 waren gesellschaftliches Ansehen und Einfluss der römisch-katholischen Kirche bereits seit geraumer Zeit am Schwinden, gefolgt von den Schrecken der Französischen Revolution und der Verhaftung des Papstes. Napoleons glückloser Besetzung eines Teils von Ägypten belebte das bereits durch die Freimaurerei angefachte Interesse an der Alten Geschichte, und bald darauf setzte ein wahrer Boom in Sachen Altertumswissenschaften und alte Sprachen ein. Der Stein von Rosette wurde übersetzt, Keilschrifttafeln entziffert und uralte indische Texte zugänglich, das alles innerhalb eines Zeitraumes von 20 oder 30 Jahren.
Dem deutschen Philologen Georg Friedrich Grotefend (Göttingen) gelang es ohne Kenntnisse von Schrift und Sprache, vor allem aber auch ohne eine parallele Textfassung in anderen Sprachen im Sommer 1802 binnen weniger Wochen fast ein Drittel des gesamten Zeicheninventars zu entschlüsseln. Das war möglich, weil es sich um recht einförmige Texte handelte, die weitgehend aus Königsnamen mit Filiation und Titulatur bestand, auf die historische Kenntnisse angewandt werden konnten.59
Jean-Francois Champollion (1790-1832) gelang die Entzifferung der ersten Hieroglyphen auf dem Stein von Rosette. Im Juli 1828 hatte er den Dreh raus, woraufhin er nach Ägypten reiste und dort erfolgreich die Hieroglyphen auf den Stelen, Obelisken und Tempeln entzifferte. Religionswissenschaftlich interessant waren auch die Übersetzungen aus dem Sanskrit. Zwischen 1824 und 1827 wurden Teile der Baghavad Gita übersetzt und veröffentlicht. Eine neue religiöse Welt tat sich auf.
Dann betrat Charles Lyell die Bühne und löste mit seiner Theorie von der uniformen Entwicklung geologischer Vorgänge den letzten namhaften Vertreter des Katastrophismus, George Cuvier, ab.
Letztendlich ist Charles Darwin ein „Kind“ dieses allgemeinen Einschwingens auf das unbewiesene Prinzip. Entgegen des Augenscheins einer gewaltigen Katastrophe in der jüngeren Vergangenheit, welche durchaus angepasste Tierarten auslöschte, was ihm auf seiner einen und einzigen großen Reise bekannt wurde, entschied er sich für die Theorie,dass auch die Entwicklung der Arten ein unglaublich langer Prozess sei, der durch Selektion bestimmt würde und welcher zu neuen Arten führe. Darwin gestand jedoch in einem Brief an Sir Henry Howorth ein, dass die Auslöschung der Mammuts in Sibirien für ihn ein unlösbares Problem sei. J.D. Dana, der führende amerikanische Geologe der zweiten Hälfte des [19.Jahrhunderts], schrieb: „Die Einschliessung riesiger Elefanten im Eis und die perfekte Erhaltung ihres Fleisches zeigt, dass die Kälte plötzlich und ein für alle mal hereinbrach, wie in einer einzigen Wintersnacht, und nie wieder nachließ“ [Erde im Aufruhr, S. 25], eine Vorstellung, mit der er damals nicht allein dastand, doch die Anhänger Lyells, Darwins, sowie weiterer, auf dem Gradualismus aufbauender Theorien befanden sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts bereits schwer auf dem Vormarsch.
Da ich die Geschichte Cuviers und Lyells bereits an anderer Stelle ausführlich beschrieben habe, breche ich die Rekonstruktion, wie es zum Vergessen der Sintflut kam, an dieser Stelle ab.